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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Existenzform hing direkt von der Dauer des physischen Seins ab... Gedanken erforderten kein Fleisch -
    während seiner Monologe hatte Scopique häufig über dieses Thema gesprochen -, aber vielleicht blieben Selbstsphären ans Körperliche gebunden, bis sie eine bestimmte Entwicklungs-stufe erreichten. Haut, Blut und Knochen stellten eine Schule dar, in der die Seele zu fliegen lernte, und Gentle fühlte sich noch nicht reif genug, um jene Schule zu schwänzen. So sehr 453

    er es auch verabscheute: Er mußte hinter die trüben Augen zurückkehren.
    Noch einmal glitt er ans Fenster und sah zum glitzernden Meer hinüber. Der Anblick von Wellen, die übers felsige Ufer tief unten spülten, stimulierte die Furcht vor dem Ertrinken und weckte Erinnerungen. Er spürte, wie das lebende Wasser um ihn herum wogte, wie es sich ihm, N'ashaps Schwanz gleich, an die Lippen preßte, wie es von ihm verlangte, den Mund zu öffnen und zu schlucken. Entsetzt wirbelte er herum und raste durchs Zimmer, traf die Stirn des regungslosen Körpers mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel. Als sich der Geist wieder mit der ihm gehörenden Substanz verband, begleitet von Bildern, die ihm N'ashap und das Meer zeigten... begriff er plötzlich die Ursache seiner Krankheit. Scopique hatte sich die ganze Zeit über geirrt! Es existierte ein konkreter physiologischer Grund für die Starre. Gentle fühlte ihn nun im Bauch, schrecklich massiv. Ich habe etwas von dem Wasser geschluckt, dachte er. Es ist noch immer in mir, lebt auf meine Kosten.
    Zacharias hörte nicht auf die mahnende Stimme des Intellekts, konzentrierte sich statt dessen auf den Ekel, verband ihn mit allen Aspekten des Leiblichen. Erwacht! verlangte er von ihnen. Erwacht endlich! Er nährte seinen Zorn mit einem geistigen Bild: N'ashap, der ihn auf die gleiche Weise benutzte wie Pie. Er stellte sich den Samen des Oethac in seinem Bauch vor. Die linke Hand fand Kraft genug, sich um die Bettkante zu schließen, und dieser Halt genügte ihm. Er rollte erst auf die Seite, dann aus dem Bett und prallte hart auf den Boden. Die heftige Erschütterung löste etwas tief in der Magengrube.
    Gentle spürte, wie es hin und her kroch, wie es versuchte, sich an den Eingeweiden festzuklammern. Das Ding bewegte sich ruckartig, und Zacharias erbebte mehrmals, verglich sich mit einem Sack voller zappelnder Fische. Jedes Zucken befreite den Körper etwas mehr von dem in ihm wuchernden Parasiten.
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    Die Gelenke knackten wie Nußschalen; Sehnen spannten sich, um unmittelbar darauf wieder zu erschlaffen. Agonie loderte in Gentle. Am liebsten hätte er laut geschrien, brachte jedoch nur ein leises Krächzen hervor. Für ihn klang es wie Musik - das erste von ihm verursachte Geräusch seit dem Fast-Tod in der Wiege. Wenige Sekunden später mußte er wieder schweigen.
    Ein automatischer Reflex preßte den Parasiten aus dem Bauch.
    Er fühlte ihn in der Brust, wie Dutzende von Haken, die er aus sich herauswürgen mußte, wobei er jedoch riskierte, seine Speiseröhre zu zerfetzen. Das Biest schien zu merken, daß es einen toten Punkt erreicht hatte, denn es verharrte und gab Zacharias die Möglichkeit, nach Luft zu schnappen. Das Atmen fiel ihm sehr schwer, denn das Etwas steckte wie ein Pfropfen in ihm. Doch als er die Lungen mit Sauerstoff gefüllt hatte, zog er sich am Bett hoch, stand auf - und ließ sich mit dem Gesicht nach vorn fallen, bevor der Parasit Gelegenheit bekam, ihm erneut die Kontrolle über den Körper zu nehmen.
    Der zweite Aufprall war noch heftiger als der erste, trieb ihm das Ding in den Mund. Rasch griff er zwischen die Zähne, um es herauszuziehen. Zweimal mußte er zerren, weil das Etwas in den Hals zurückkriechen wollte, doch schließlich quoll es aus ihm heraus, gefolgt von der letzten Mahlzeit.
    Gentle keuchte, stemmte sich hoch und taumelte. Schleim tropfte von seinen Mundwinkeln, bildete lange Fäden. Das Biest auf dem Boden zappelte, und er ließ es leiden. In seinem Innern hatte es sich riesig angefühlt, aber es war nicht größer als eine Hand - eine formlose Masse aus grauweißem Fleisch und silbrigen Adersträngen, ausgestattet mit vielen kurzen Gliedmaßen. Es gab keine Geräusche von sich. Nur ein leises Platschen erklang, wenn es sich in der Lache aus Erbrochenem bewegte.
    Gentle kauerte am Bett und war viel zu schwach, um sich von der Stelle zu rühren. Einige Minuten später kam Scopique herein, auf der Suche nach Pie. Seine Überraschung kannte 455

    keine

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