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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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auf alle seine Fragen bekommt.«
    »Dann ist es wenigstens nicht mehr nötig, daß du an ihm lutschst.«
    »Es hat mir nichts ausgemacht.«
    »Aber mir ging's gegen den Strich«, betonte Gentle, und die Worte brannten ihm in der Kehle. Er stand auf, was ihm erhebliche Mühe bereitete, aber er wollte nicht, daß der Mystif auf ihn herabsah. »Zu Anfang hast du oft davon gesprochen, daß du es bedauerst, mir seelische Schmerzen zugefügt zu haben. Mehrmals hast du den Bahnsteig von Mai-Ke erwähnt und mich gebeten, dir zu verzeihen. Ich dachte dauernd, daß es zwischen uns nie etwas geben würde, das man nicht verzeihen kann. Darauf wollte ich dich hinweisen, unmittelbar nach meiner Rekonvaleszenz. Aber jetzt bin ich nicht mehr so 458

    sicher... N'ashap hat dich nackt gesehen, Pie. Warum er und nicht ich? Daß du ihn anstatt mich in dein Geheimnis eingeweiht hast... So etwas könnte unverzeihlich sein.«
    »Er hat kein ›Geheimnis‹ in Erfahrung gebracht«, erwiderte Pie. »Als er den Blick auf mich richtete, sah er eine Frau, die er in Yzordderrex liebte und verlor. Eine Frau, die große Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte. Davon ist er besessen - ein Echo, hervorgerufen vom Echo seiner Mutter. Solange er diese Illusionen von mir bekam, war er immer hilfsbereit. Das schien viel wichtiger zu sein als meine Würde.«
    »Jetzt nicht mehr«, sagte Gentle. »Wenn wir die Reise von hier aus fortsetzen, so möchte ich, daß du allein mir gehörst.
    Ich bin nicht bereit, dich mit jemandem zu teilen, Pie. Um keinen Preis. Sogar das Leben bedeutet mir weniger.«
    »Ich wußte nicht, daß du so empfindest. Wenn du davon gesprochen hättest...«
    »Unmöglich. Solche Gefühle waren in mir schon erwacht, bevor wir hierherkamen, aber ich brachte es einfach nicht fertig, darüber zu reden.«
    »Auch wenn es vielleicht keinen Sinn mehr hat: Bitte entschuldige...«
    »Ich will keine Entschuldigung.«
    »Was möchtest du?«
    »Ein Versprechen. Einen Schwur.« Zacharias zögerte kurz.
    »Die Ehe.«
    Der Mystif lächelte. »Im Ernst?«
    »Ich wünsche es mir mehr als alles andere. Ich habe dich schon einmal gebeten, mich zu heiraten, und du hast dich einverstanden erklärt. Wenn du Wert darauf legst, wiederhole ich meine Bitte.«
    »Das ist nicht nötig«, meinte Pie. »Nichts wäre eine größere Ehre für mich. Aber soll die Hochzeit hier stattfinden? Ausgerechnet hier!« Der Mystif runzelte die Stirn, doch eine Sekunde später grinste er breit. »Scopique hat mir von einem im Keller 459

    eingesperrten Mangler erzählt. Er könnte die Zeremonie leiten.«
    »Und seine Religion?«
    »Er ist hier, weil er sich für Jesus Christus hält.« »Dann fordere ihn auf, seine Identität mit einem Wunder zu beweisen.«
    »An was für ein Wunder hast du gedacht?«
    »An meine Bekehrung zur Redlichkeit«, erwiderte Gentle.
    Pie'oh'pah, Eurhetemec-Mystif, und John Furie Zacharias, Flüchtling und Gentle genannt, heirateten noch am gleichen Abend. Das Ritual wurde in den Tiefen der Anstalt zelebriert, unter der Aufsicht eines Priesters, der sich gerade einer Phase geistiger Klarheit erfreute und bereit war, sich mit seinem wahren Namen ansprechen zu lassen: Pater Athanasius. Ganz deutlich trug er die Zeichen seines Wahns: Narben auf der Stirn, verursacht von einer Dornenkrone; Schorf an den Innenflächen der Hände, hervorgerufen von Nägeln, die er sich durchs Fleisch getrieben hatte. Er runzelte ebenso häufig die Stirn wie Scopique lächelte, obgleich die Miene des Philosophen bei ihm völlig fehl am Platz wirkte. Pater Athanasius hatte eher das Gesicht eines Komikers: eine dicke Knollennase, die dauernd tropfte, breite Lücken zwischen den Zähnen, und Brauen wie Raupen, die sich ziehharmonikaartig zusammenzogen, wenn Falten die Stirn durchfurchten. Mit zwanzig anderen Gefangenen, die als besonders aufwieglerisch galten, war er im tiefsten Bereich der Anstalt untergebracht, und seine fensterlose Zelle wurde strenger bewacht als die der übrigen Häftlinge/Patienten in den weiter oben gelegenen Etagen. Scopique mußte einige subtile Vorbereitungen treffen, damit sie Zugang zu ihm bekamen, und der bestochene Wächter -
    ein Oethac - war nur bereit, für einige wenige Minuten die Augen zuzudrücken. Deshalb mußte sich die Zeremonie auf das Notwendige beschränken. Sie wurde in einer improvisierten Mischung aus Latein und Englisch 460

    durchgeführt, vermischt mit einigen Sätzen der Mangler-Sprache aus der Zweiten Domäne; für Gentle ergaben

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