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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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geschnappt, und einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete Zacharias, daß dem Kind der sofortige Tod drohe. Doch die große Gestalt drückte Huzzah wie ein Puppe an sich und verschwand in der Staubwolke.
    Er begann sofort mit der Verfolgung und sah nicht zurück, was sich als Fehler herausstellte: Erst drei Meter hatte er zurückgelegt, als ihn ein Hieb der Oethac-Frau am verlängerten Rücken traf. Die Wunde war nicht besonders tief, doch der jähe Schock nahm ihm den Atem, und er stürzte zu Boden. Der zweite Schlag hätte seinen Schädel zerschmettert, wenn er nicht unverzüglich zur Seite gerollt wäre. Die Oethac verwendete eine kleine Spitzhacke, die sich dicht neben ihm in den Boden bohrte. Gentle sprang auf, als die Frau am Griff ihrer Waffe zerrte, stürmte los und wandte sich dabei in die Richtung, in der Huzzah und ihr Entführer verschwunden waren. Der zweite Jugendliche hatte sich dem Nullianac angeschlossen und quiekte vor Freude - eine Euphorie, die von Drogen und Alkohol bewirkt werden mochte. Dieses Geräusch half Gentle, sich zu orientieren, als er die Plünderer in der Dunkelheit aus den Augen verlor. Die Verfolgungsjagd brachte ihn aus dem Ruinenviertel in ein Kesparat, das bisher von den Kämpfen verschont geblieben war.
    Aus gutem Grund. Hier verkaufte man Sexualität, und das 610

    Geschäft blühte. Die Straßen waren schmaler als in den Bereichen der Stadt, die Gentle bisher kennengelernt hatte, doch aus Türen und Fenstern schimmerte helles Licht. Hinzu kamen Straßenlaternen und viele Kerzen. In ihrem Schein bot sich die Ware an, schlenderte umher oder saß auf Treppen: Hier gab es Anatomien und mögliche Freuden, neben denen die Prostitutionsvielfalt von Bangkok oder Tanger armselig erschien. Und es mangelte nicht an Kunden. Der unmittelbar bevorstehende Tod schien die allgemeine Libido enorm verstärkt zu haben. Auch wenn die Zuhälter, Huren und so weiter nicht den nächsten Morgen erleben würden - sie starben als reiche Leute. Der Anblick eines Nullianac mit einem schreienden, zappelnden Mädchen in den Armen erweckte kaum Aufmerksamkeit in Straßen, die allein der Verderbtheit gewidmet waren. Man ignorierte Gentle, als er die übrigen Passanten aufforderte, den Entführer festzuhalten.
    Das Gedränge in den Straßen wurde immer schlimmer, und schließlich verlor Zacharias die Verfolgten nicht nur aus den Augen - er hörte sie auch nicht mehr. Kleine Passagen und Wege zweigten von der zentralen Straße ab (die Geile Gasse hieß; jemand hatte den Namen an eine Bordellmauer geschmiert), und vielleicht versteckte sich der Nullianac irgendwo in der dortigen Dunkelheit. Gentle rief den Namen des Mädchens, doch die beiden Silben verloren sich im lauten Stimmengewirr. Er wollte loslaufen, als ihm jemand auffiel, der mit deutlichem Abscheu im Gesicht aus einem der Durchgänge zurückwich. Zacharias bahnte sich einen Weg zu ihm und griff nach seinem Arm, doch der Mann stieß seine Hand beiseite und eilte fort, ohne Antwort auf die Frage zu geben, was er gesehen hatte. Gentle verzichtete darauf, noch einmal Huzzahs Namen zu rufen, sondern schritt stumm durch die Passage.
    Etwa zwanzig Meter entfernt brannten mehrere Matratzen, und eine maskierte Frau stand in der Nähe. Insekten hatten im 611

    Drell genistet, und die Flammen trieben sie nun daraus hervor.
    Einige versuchten, mit brennenden Flügeln zu entkommen, doch die Frau schlug mit einer großen Klatsche nach ihnen.
    Gentle duckte sich, als die Maskierte immer wieder ausholte, und fragte nach dem Nullianac, woraufhin ein wortloses Nicken der Frau die Gasse entlang deutete. Auf dem Boden wimmelte es von Flüchtlingen aus den Matratzen, und Zacharias zermalmte mit jedem Schritt hundert Panzer. Das Licht der Geilen Gasse war inzwischen verblaßt, und eine seltsame Ruhe herrschte hier, während in den anderen Vierteln der Stadt nach wie vor gekämpft wurde. Das Blitzen von Explosionen projizierte ebenso gespenstische wie kurzlebige Schatten. Abfälle lagen in dem Durchgang, und die Fenster der schmutzigen Gebäude zu beiden Seiten waren vernagelt. Von den Müllhaufen ging ein widerwärtiger Gestank aus, aber Zacharias atmete trotzdem tief durch, in der Hoffnung, daß Pneumas aus so fauliger Luft eine noch größere Wirkung entfalteten. Durch Huzzahs Entführung hatten der Nullianac und seine Komplizen den Tod verdient, doch wenn dem Mädchen irgendein Leid geschehen war... Dann wollte Gentle dafür sorgen, daß die Verantwortlichen

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