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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Finsternis einer fast un-durchdringlichen Substanz. Gentle hob sich Huzzah auf die Schultern, was sie in die Lage versetzte, ihm Richtungshinweise zu geben.
    Sie kamen nur langsam voran. An jeder Kreuzung verharrten sie, um festzustellen, welche Route die wenigsten Gefahren bot. Häufig gingen sie irgendwo in Deckung, wenn sich Regierungstruppen oder Revolutionäre näherten. Damit noch nicht genug. Auf jeden Soldaten in diesem Krieg kamen mindestens zehn Zuschauer: Wie Strandgutsammler forderten sie die Gezeiten der Schlacht heraus und wichen hastig zurück, wenn neue Wellen heranrollten - ein manchmal tödliches Spiel.
    Gentle und Huzzah sahen sich nun zu einem ähnlichen Tanz gezwungen. Immer wieder verlangte die Situation einen Umweg, und sie mußten jedesmal ihrem Orientierungssinn vertrauen, der schließlich versagte.
    Während einer Phase ungewöhnlicher Stille sagte Gentle schließlich:
    »Ich weiß nicht mehr, wo wir sind, Engelchen.«
    Artilleriebeschuß hatte den größten Teil dieses Kesparats dem Erdboden gleichgemacht, und die Trümmerhaufen boten nur wenig Schutz. Trotzdem bestand Huzzah darauf, daß sie einen Zufluchtsort suchten - sie vernahm einen Ruf der Natur, dem sie unbedingt Folge leisten mußte. Gentle setzte das Mädchen ab, und es eilte sofort in Richtung eines halb eingestürzten Hauses. Zacharias hielt davor Wache, rief durch die Tür und forderte Huzzah auf, vorsichtig zu sein. Kaum hatte er entsprechende Worte formuliert, als ihn die Ankunft von mehreren Personen in den Schatten des Zugangs zurücktrieb. Ihre Waffen schienen von toten Soldaten zu stammen, und sie wirkten nicht wie Revolutionäre. Der älteste von ihnen, ein großer, beleibter Bursche, trug Hut und Krawatte - in dieser Aufmachung war er vermutlich am Morgen zur Arbeit gegangen -, und zwei seiner Begleiter 608

    schienen fast ebenso jung zu sein wie Huzzah. Eines der beiden anderen Gruppenmitglieder erwies sich als Oethac-Frau, und das letzte Individuum erinnerte Gentle an ein recht unangenehmes Erlebnis in Vanaeph: Es handelte sich um einen Nullianac, dessen Kopf aussah wie im Gebet vereinte Hände.
    Er blickte in die Dunkelheit der Ruine, um Huzzah aufzufordern, keinen Laut von sich zu geben, wenn sie zu ihm zurückkehrte, hielt aber vergeblich nach dem Mädchen Ausschau.
    Nach einigen weiteren Sekunden wandte sich Zacharias von der Tür ab und stapfte vorsichtig durch die Finsternis. Etwas Klebriges bedeckte den Boden, blieb jedoch in der Schwärze verborgen. Dafür sah er Huzzah, beziehungsweise ihre Silhouette: Sie hatte sich gerade erleichtert und stand nun auf.
    Das Mädchen bemerkte ihn ebenfalls und wollte protestieren, aber Gentle zischte einige Worte und forderte es auf, still zu sein. Auf der Straße explodierten Granaten mit lautem Krachen, und die Lichtblitze ermöglichten es Zacharias, einen besseren Eindruck von der Umgebung zu gewinnen. Eine häusliche Szene bot sich ihm dar: der Tisch fürs Abendessen gedeckt; die Köchin lag tot darunter; ihr Blut bildete eine klebrige Patina auf dem Boden. Gentle winkte Huzzah zu sich, nahm ihre Hand und schlich mit dem Mädchen zur Tür, als sich draußen das Krachen wiederholte und die Plünderer von der Straße trieb. Zacharias reagierte nicht schnell genug, und die Oethac sah ihn, bevor er Gelegenheit fand, in den dunklen Zugang zurückzuweichen. Sie rief etwas, und einer der beiden Jungen schoß dorthin, wo Gentle und Huzzah eben noch gestanden hatten. Kugeln schlugen in die Wand und hinterließen weitere Löcher in ihr. Gentle eilte durch die Finsternis, um einen möglichst großen Abstand zur Tür zu schaffen, drückte Huzzah in eine Ecke und holte Luft. Gerade noch rechtzeitig: Der schießfreudige Jugendliche erschien in der Tür und feuerte in die Dunkelheit. Zacharias gab einen Pneumastoß frei, der zur Pforte raste. Er hatte seine eigene 609

    Kraft unterschätzt: Der Schütze war praktisch sofort tot, doch das Pneuma zerfetzte auch den Türrahmen sowie einen großen Teil der Mauer zu beiden Seiten.
    Eine dichte Staubwolke entstand, und Gentle wartete nicht, bis sich die Plünderer zu einem zweiten Angriff entschlossen.
    Er drehte sich zu Huzzah um, in der festen Absicht, mit ihr zu fliehen. Doch die Wand, an der sie eben noch gehockt hatte, wies mehrere Risse auf und war alles andere als stabil. Es knirschte dumpf, als sie nachgab, und unmittelbar darauf schrie das Mädchen. Huzzah befand sich ein ganzes Stück weiter links: Der Nullianac hatte sie

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