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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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konnte in dieser Hinsicht keinen Erfolg erzielen. Für das Weibliche gibt es immer einen entlegenen Schlupfwinkel...«
    »Ihr Befehl genügt«, knurrte Rosengarten. »Ich breche sofort auf und hänge die verdammten Hexen.«
    »Sie verstehen nicht«, sagte der Autokrat fast tonlos - und dadurch erhielten seine Worte noch mehr Bedeutung. »Der Schlupfwinkel befindet sich nicht dort draußen, sondern hier drin.« Er klopfte sich an die Stirn. »In unserem Denken. Die Geheimnisse der Frauen faszinieren uns, obgleich wir versuchen, uns nicht von ihnen beeinflussen zu lassen. Wir sind davon besessen, und das gilt auch für mich. Der Himmel weiß, daß ich davon frei sein sollte. Ich bin nicht so geschaffen wie ihr anderen - wie kann ich mich nach etwas sehnen, das nie zu meinem Leben gehörte? Trotzdem wohnt eine solche Sehnsucht in mir.« Der Herrscher seufzte. »O ja, sie ruht im Zentrum meines Selbst.« Er musterte Rosengarten, dessen Gesicht Verwirrung zeigte. »Sehen Sie nur«, fügte er hinzu und deutete auf den Kriechenden. »Er hat nur noch einige Sekunden zu leben, aber der Parasit brachte ihn auf den Geschmack, und jetzt will er mehr.«
    »Auf was für einen Geschmack?«
    »Der Mutterschoß, Rosengarten. Er meinte, es fühle sich an wie eine Rückkehr in den Mutterschoß. Wir sind Ausgestoßene.
    655

    Was auch immer wir bauen, wo auch immer wir uns verbergen
    - wir sind ausgestoßen.«
    Der Mann auf dem Boden stöhnte noch einmal und rührte sich dann nicht mehr. Eine Zeitlang beobachtete der Autokrat den Leichnam. Die einzigen Geräusche in dem riesigen Saal stammten jetzt von dem Parasiten, der noch immer zitterte und zuckte.
    »Lassen Sie die Türen versiegeln«, befahl er Rosengarten und schritt an ihm vorbei. »Ich gehe zum Zapfenturm.«
    »Ja, Sir.«
    »Besuchen Sie mich dort, wenn es hell geworden ist. Die yzordderrexianischen Nächte... Sie sind zu lang. Viel zu lang.
    Manchmal frage ich mich...«
    Aber ganz gleich, was sich der Autokrat fragte: Er vergaß es, bevor er Gelegenheit fand, darüber zu sprechen. Stumm verließ er den Saal, der nun zu einem Grab wurde.
    656

KAPITEL 36
l
    Während der Reise mit Pie hatte Gentle nur selten an Taylor gedacht, doch als Nikaetomaas in den Straßen außerhalb des Palastes fragte, warum er nach Imagica gekommen wäre, nannte er als Gründe zuerst Taylors Tod und dann den Mordanschlag auf Judith. Während er nun mit der Manglerin über stille, dunkle Höfe eilte und den eigentlichen Palast erreichte, dachte er erneut an Clems Gefährten, stellte sich vor, wie er im Sterbebett lag und vom Schweben sprach. Erneut hörte er, wie Taylor ihn aufforderte, Rätsel zu lösen, die ihn in den Tod begleitet hatten.
    »Ein Freund von mir in der Fünften hätte an diesem Ort großen Gefallen gefunden«, sagte Zacharias. »Er liebte die Trostlosigkeit.«
    Sie begegneten ihr auf jedem Hof. In vielen von ihnen waren Gärten angelegt und dann dem Wuchern überlassen worden.
    Doch das Wuchern verbrauchte Kraft, und hier war die Natur müde und schwach. Nach kurzem Wachstum erdrosselten sich die Pflanzen gegenseitig und verwelkten zur Farbe von Asche.
    Im Innern des Palastes herrschte eine ähnliche Atmosphäre: Gentle und Nikaetomaas wanderten durch Galerien, in denen zentimeterdicker Staub lag, durchquerten Nebengebäude und große Räume, die den Eindruck erweckten, daß sich seit Jahrzehnten niemand mehr in ihnen aufgehalten hatte. Die meisten Wände waren geschmückt, manche mit Tapisserien, andere mit Fresken. Viele Bilder zeigten Szenen aus Imagica: Patashoqua unter einem grünen und goldfarbenen Himmel, einige Luftballons, die von der Ebene vor den Stadtmauern aufstiegen; religiöse Feste vor den Tempeln von L'Himby.
    Doch Zacharias argwöhnte, daß die besten Gemälde von der 657

    Erde und insbesondere von England inspiriert worden waren.
    Nun, das Pastorale war sicher eine universelle Stilrichtung, und in den zusammengeführten Domänen umwarben Schäfer hübsche Nymphen auf die gleiche Weise, wie es in den Sonetten der Fünften beschrieben wurde. Einige Einzelheiten allerdings deuteten unverkennbar auf England hin: Schwalben am Sommerhimmel; Vieh, das auf Rieselwiesen trank, während die Hirten schliefen; der Turm von Salisbury hinter Eichen; die fernen Türme und Kuppeln von London, im Vordergrund ein Hügel, an dessen Hang Mädchen und Burschen tändelten; und Stonehenge, um der Dramatik willen auf einen Berg versetzt, darüber dunkle Gewitterwolken.
    »England«, sagte

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