Imagica
ihn. »Hörst du mir zu?« Er rüttelte seinen Gefangenen an den Schultern und beobachtete, wie der Mund des Mannes aufklappte. Speichel tropfte von der Unterlippe.
»Du sollst mir zuhören!« fauchte er. »Ich schildere dir meinen Schmerz!«
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Der Autokrat sprang auf, als er keine Antwort bekam, und versetzte dem Hilflosen eine so heftige Ohrfeige, daß er kippte und umfiel, zusammen mit dem Stuhl, an den er gefesselt war.
Das Geschöpf zuckte voller Mitgefühl.
»Ich habe dich nicht hierhergeholt, damit du schläfst!«
donnerte der Autokrat. »Ich will, daß du meinen Schmerz mit mir teilst!«
Er packte den Parasiten und zerrte daran. Die Panik des Wesens übertrug sich auf den Wirt, und der Mann wand sich hin und her. Die Fesseln schnitten ihm tiefer in die Haut, als er versuchte, das Wesen auf seiner Brust zu behalten. Erst vor einer knappen Stunde, als Abelove aus den Schatten geholt und dem Gefangenen gezeigt worden war, hatte der Mann um Gnade gewinselt. Jetzt kreischte er ebenfalls, flehte jedoch darum, nicht von dem Parasiten getrennt zu werden. Aus dem Kreischen wurde ein schrilles Heulen, als sich die Fäden des Geschöpfs aus den Organen lösten, als daran befestigte Widerhaken gräßliche innere Verletzungen verursachten. Die dünnen Tentakel zuckten heftig außerhalb des Körpers und trachteten danach, in den Leib zurückzukehren oder einen anderen zu finden. Der Autokrat verweigerte den beiden Liebenden sein Mitleid, trennte sie wie der Tod, warf Abelove fort und griff mit blutigen Händen nach dem Kopf des Mannes.
»Na, was empfindest du jetzt?« zischte er.
»Geben Sie ihn mir zurück. Bitte! GebenSie ihn mir zurück!«
»Fühlt es sich wie die Geburt an?« fragte der Herrscher.
»Wenn Sie das von mir hören wollen... Ja! Ja! Bitte geben Sie ihn mir zurück!«
Der Autokrat wandte sich ab und schritt zu jener Stelle im Saal, wo die Beschwörung stattgefunden hatte. Vorsichtig trat er über den Köder hinweg - menschliche Eingeweide -, hob das neben dem Kopf liegende Messer auf und schlenderte wieder zum Gefangenen. Er schnitt die Fesseln durch und wich dann 653
zurück, um den Rest des Spektakels zu beobachten. Der Mann war schwer verwundet und konnte mit seinen perforierten Lungen kaum noch Luft holen, als er den Blick auf den Parasiten richtete und in die entsprechende Richtung kroch.
Der Autokrat blieb stehen und wußte: Das Opfer würde nicht lange genug überleben, um Abelove zu erreichen und sich erneut mit ihm zu verbinden. Die Tragödie war unvermeidlich.
Der Mann hatte kaum zwei Meter zurückgelegt, als jemand an die Tür klopfte.
»Ich will jetzt nicht gestört werden!« rief der Autokrat.
Doch das Pochen wiederholte sich, und Rosengartens Stimme erklang. »Quaisoir ist fort, Sir.«
Der Herrscher sah die Verzweiflung des Mannes am Boden -
und er verzweifelte ebenfalls. Trotz aller Nachgiebigkeit hatte ihn seine Frau verlassen, um sich ihrem Messias hinzugeben.
»Herein!«
Rosengarten betrat den Saal und erstattete Bericht. Jemand hatte Seidux erstochen und seine Leiche aus dem Fenster geworfen. Quaisoirs Gemächer waren leer, ihre Zofe verschwunden. Das Chaos im Ankleidezimmer deutete auf einen Kampf hin, und man suchte bereits nach den Entführern.
»Nach welchen Entführern?« erwiderte der Autokrat. »Nein, Rosengarten. Es gibt keine Entführer. Meine Gemahlin ist aus freiem Willen aufgebrochen.«
Er behielt auch weiterhin den Mann im Auge, während er sprach. Der Sterbende hatte inzwischen ein Drittel der ursprünglichen Entfernung zu seinem Liebling zurückgelegt, doch er wurde schnell schwächer.
»Es ist vorbei«, sagte der Autokrat. »Sie eilt jetzt zu ihrem Erlöser - arme Närrin.«
»Soll ich ihr Soldaten nachschicken?« fragte Rosengarten.
»In der Stadt drohen derzeit viele Gefahren.«
»Auch Quaisoir kann ziemlich gefährlich sein. Die Frauen der Bastion haben sie einige unheilvolle Dinge gelehrt.«
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»Ich hoffe, von diesem Pfuhl bleibt nicht mehr als Asche übrig!« stieß Rosengarten mit einer für ihn erstaunlichen Leidenschaft hervor.
»Das bezweifle ich«, erwiderte der Autokrat. »Die Frauen haben immer Mittel und Wege gefunden, sich auf eine recht wirkungsvolle Weise zu schützen.«
»Mir könnten sie keinen Widerstand leisten«, rühmte sich Rosengarten.
»Oh, selbst Ihnen«, widersprach der Herrscher. »Und sogar mir. Ganz gleich, wieviel Mühe wir uns geben: Die Macht der Frauen läßt sich nicht brechen. Auch der Unerblickte
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