Imagica
Erneut fiel er zu Boden, und die Waffe rutschte ihm aus halb zermalmten Fingern. Die große, muskulöse Frau bedeutete ihm mit einer knappen Geste, wieder aufzustehen.
»Wie heißt du?« fragte sie.
»Yark Lazarewitsch«, antwortete er und hielt sich die verletzte Hand.
»Nun, Yark Lazarewitsch, wenn du versuchst, um Hilfe zu rufen, oder wenn ich auch nur den Eindruck gewinne, daß du Alarm geben willst... Dann presse ich dir das Gehirn aus dem 660
Schädel. Verstehst du?«
»J-ja.«
»Hast du Kinder?«
»Zwei.«
»Stell sie dir ohne Vater vor. Noch Fragen?«
»Nein. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der Zapfenturm ein ganzes Stück entfernt ist. Bitte glauben Sie nicht, daß ich Sie in die Irre führe.«
»Bring uns so schnell wie möglich dorthin«, brummte Nikaetomaas. Lazarewitsch nickte hastig, geleitete sie über die Brücke zur Treppe zurück und meinte, der kürzeste Weg zum Zapfenturm führe durch das zwei Etagen weiter unten gelegene Cesscordium.
Sie hatten rund ein Dutzend Stufen hinter sich gebracht, als weiter oben Schüsse krachten. Einer von den beiden Kameraden Lazarewitschs wankte zur Treppe und rief irgend etwas, um weitere Soldaten zu alarmieren. Wenn er nicht benommen gewesen wäre, hätte er Nikaetomaas oder Gentle vielleicht erschossen, aber mit der ersten Salve verfehlte er das Ziel, und zu einer zweiten bekam er keine Gelegenheit mehr.
Zacharias und die Manglerin nahmen den Uniformierten in ihre Mitte, sprangen über die Stufen nach unten und gerieten dadurch aus dem Blickfeld des Mannes. Lazarewitsch jammerte und betonte mehrmals, er sei völlig unschuldig, liebe seine Kinder und wünsche sich nichts sehnlicher, als sie wiederzusehen.
In einem der Korridore ertönte das Geräusch hastiger Schritte, und Stimmen erklangen - offenbar hatte jemand die Schüsse und Rufe des anderen Soldaten gehört. Nikaetomaas fluchte hingebungsvoll - Gentle verstand die Worte nicht, doch der Tonfall genügte, um auf ihre Bedeutung zu schließen - und streckte die Hand nach Lazarewitsch aus. Der Bursche stob davon, bevor sie ihn festhalten konnten, und traf unten an der Treppe mehrere Kameraden. Die Manglerin hatte nicht 661
gezögert, den Fliehenden zu verfolgen, sauste an Gentle vorbei
- und geriet in die Schußlinie von vier Bewaffneten. Die Männer feuerten sofort, und vier Kugeln bohrten sich in weiches Fleisch. Die Muskeln nützten Nikaetomaas jetzt nichts mehr. Sie fiel sofort, rollte nach unten und blieb einige Stufen vor dem nächsten Treppenabsatz liegen. Zacharias sah ihr nach, und dabei gingen ihm drei Gedanken durch den Kopf.
Erstens: Dafür sollten die verdammten Mistkerle büßen.
Zweitens: Es hatte jetzt keinen Sinn mehr, sich im Verborgenen zu halten. Und drittens: Wenn er das Dach über den Köpfen der Mörder einstürzen ließ, wenn sich herumsprach, daß es im Palast nicht nur den Autokraten gab, sondern auch noch jemand anderen, der über Macht gebot - so etwas konnte gewiß nicht schaden. Gentle bedauerte es sehr, daß er in der Geilen Gasse dutzendfachen Tod verursacht hatte, aber in diesem Fall sah er keinen Grund, so etwas wie Reue zu empfinden. Er brauchte bloß die Hand zum Mund zu heben und den Stoff der improvisierten Kapuze fortzureißen, bevor die Kugeln flogen.
Weitere Soldaten näherten sich aus verschiedenen Richtungen. Also los, dachte Zacharias und gab den Neuankömmlingen mit einer stummen Geste zu verstehen, daß er kapituliere. Nähert euch ruhig - mein Atem reicht für euch alle.
Einer der Uniformierten schien einen recht hohen Rang zu bekleiden, denn die anderen salutierten, als er erschien. Er sah die Treppe hoch zu dem Fremden, dessen Gesicht unter der Kapuze verborgen blieb.
»General Racidio...«, sagte jemand. »Wir haben hier zwei Rebellen entdeckt.«
»Es sind keine Eurhetemecs.« Der Mann wandte den Blick von Gentle ab, betrachtete Nikaetomaas' Leiche und richtete seine Aufmerksamkeit dann erneut auf Zacharias. »Ich glaube, wir haben es mit Manglern zu tun.«
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Langsam stieg er die Treppe hoch und näherte sich Gentle, der Luft holte und innerlich Vorbereitungen dafür traf, sich zu entschleiern und ein Pneuma einzusetzen. Er hatte höchstens zwei oder drei Sekunden. Zeit genug, um Racidio zu packen und ihn als Geisel zu verwenden, wenn sein Atem nicht alle Soldaten umbrachte.
»Bin gespannt, wie du aussiehst«, knurrte der General und zerrte die Kapuze beiseite.
Gentle wollte sofort das Pneuma den Soldaten entgegenschleudern,
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