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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Soldaten. Kapiert?«
    Lazarewitsch nickte hastig, doch Gentle bezweifelte, ob er wirklich verstanden hatte. Der Mann dachte einzig und allein daran, diesen Ort zu verlassen; als die Hand von seinem Arm wich, stürmte er sofort durch den Korridor und verschwand innerhalb weniger Sekunden. Zacharias wandte sich wieder dem Messingportal zu und drückte eine der beiden Türhälften weit genug auf, um durch den Spalt schlüpfen zu können. Die Nervenbahnen in Skrotum und Händen wußten, daß etwas Bedeutungsvolles in der Nähe weilte - das Prickeln wurde immer stärker, gewann jetzt eine schmerzhafte Qualität -, obgleich sich den Augen nur konturloses Zwielicht darbot. Er verharrte am Portal, bis er zu ahnen begann, was sich vor ihm befand. Dies war nicht der Turm, sondern eine Art Vorzimmer; es roch hier so muffig wie in der Kammer eines Kranken.
    Gentles Blick glitt über kahle Wände; die Einrichtung bestand nur aus einem Tisch, auf dem der umgestürzte - und leere -
    Käfig eines Kanarienvogels lag. Dahinter bemerkte er eine zweite Tür, und durch sie erreichte er einen Flur, in dem der muffige Geruch noch intensiver wurde. Die Ursache des Prickelns war jetzt auch hörbar: ein beständiges, gleichmäßiges Summen, das unter anderen Umständen vielleicht eine 707

    beruhigende Wirkung entfaltet hätte. Gentle wußte nicht, aus welcher Richtung es kam, und er drehte den Kopf immer wieder von einer Seite zur anderen, während er durch den Korridor schlich. Links führte eine Treppe nach oben. Er beschloß, die Stufen zu ignorieren, und ein Lichtschimmer weiter vorn belohnte ihn dafür. Als er einen Fuß vor den anderen setzte, erklang auch weiterhin die monotone Stimme des Zapfens; sie schien ihn darauf hinzuweisen, daß er eine Sackgasse gewählt hatte. Doch er ging weiter, dem Licht entgegen. Vielleicht hielt man Pie in einer der Kammern gefangen.
    Als er sich dem Raum, aus dem das Licht kam, bis auf ein Dutzend Schritte genähert hatte, ging jemand an der Tür vorbei, huschte aber zu schnell durch Gentles Blickfeld, als daß er Einzelheiten hätte erkennen können. Er zögerte einige Sekunden lang, an die Wand gepreßt, und schob sich dann vorsichtig in Richtung Zugang. Kurz darauf sah er die Lichtquelle: ein Docht, der auf dem Tisch aus einer Schüssel mit Öl ragte; eine kleine Flamme züngelte an ihm empor.
    Daneben standen mehrere Teller mit den Resten einer Mahlzeit. Zacharias blieb an der Tür stehen und wartete darauf, daß der Mann - ein Wächter, wie er vermutete - erneut in Sicht geriet. Er wollte ihn nicht töten, es sei denn, der Bursche ließ ihm keine Wahl. Morgen früh gab es in Yzordderrex sicher genug Witwen und Waisen; ihm lag nichts daran, zusätzliches Leid zu schaffen. Er hörte, wie der Mann furzte, und zwar gleich mehrmals, mit der Selbstvergessenheit von jemandem, der sich allein glaubte. Eine andere Tür wurde geöffnet, und Schritte entfernten sich.
    Gentle wagte es, einen Blick in das Zimmer zu werfen. Leer.
    Niemand war da. Rasch trat er ein, in der Absicht, die beiden Messer auf dem Tisch an sich zu bringen. Einer der Teller präsentierte eine Auswahl an Bonbons, und die Versuchung erwies sich als zu groß. Er griff nach einem, das besonders 708

    lecker aussah, und schob es sich in den Mund. Nur einen Sekundenbruchteil später erklang eine Stimme hinter ihm.
    »Rosengarten?«
    Er drehte sich um, und als er das Gesicht des anderen Mannes sah... sorgte jäher Schock dafür, daß sich in seinen Kiefern etwas verkrampfte; das Bonbon splitterte zwischen den Zähnen. Zucker und Anblick bildeten eine seltsame Einheit, die den unwirklichen Aspekt dieses Erlebnisses verstärkte.
    Gentle stand einem lebenden Spiegel gegenüber. Seine Augen, seine Nase, sein Mund, sein Haar, seine Verwirrung, seine Erschöpfung. Nur die Kleidung und der Schmutz unter den Fingernägeln unterschieden die Spiegelbilder voneinander.
    Zacharias schluckte die Süßigkeit hinunter und brachte langsam hervor: »Um Himmels willen... wer... bist... du?«
    Die Verblüffung wich aus den Zügen des noch namenlosen Mannes. Er lächelte amüsiert und schüttelte den Kopf.
    »Verdammtes Kreauchee...«
    »So heißt du?« fragte Gentle. »Verdammtes Kreauchee?«
    Während der bisherigen Reise hatte er seltsamere Namen gehört. Doch die Frage schien den Fremden noch mehr zu erheitern.
    »Keine schlechte Idee«, erwiderte er. »Ich habe genug von dem Zeug in mir. Autokrat Verdammtes Kreauchee. Klingt gut.«
    Gentle spuckte den Rest

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