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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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du?«
    »Die wichtigste Ursache deines Versagens heißt Judith«, sagte der Autokrat. »Wenn du sie nicht so sehr begehrt hättest...« Er unterbrach sich und musterte sein Ebenbild.
    »Nicht einmal daran erinnerst du dich, oder?«
    »Nein«, gab Gentle zu. »Noch nicht.«
    »Soll ich's dir erzählen, Bruder?« Sartori trat näher und blieb dicht vor Zacharias stehen. »Es ist eine traurige Geschichte.«
    »Ich vergieße nicht so leicht Tränen.«
    »Sie war die schönste Frau in England. Beziehungsweise in Europa, wie manche Leute behaupteten. Aber sie gehörte Joshua Godolphin, und er hütete sie wie seine Seele.«
    »Waren sie ein Ehepaar?«
    »Nein. Sie war seine Mätresse, doch er liebte sie mehr, als man eine Ehefrau lieben kann. Joshua wußte natürlich um deine Gefühle ihr gegenüber - du hast sie deutlich genug gezeigt -, und er fürchtete, früher oder später würde es dir gelingen, sie zu verführen, sie ihm wegzunehmen. Es hätte dir kaum Probleme bereitet. Du warst der Maestro Sartori; für dich gab es keine Grenzen. Andererseits wolltest du Godolphin als deinen Patron und Gönner nicht vor den Kopf stoßen, und deshalb hast du gewartet, in der Überzeugung, daß er irgendwann das Interesse an Judith verlieren würde. Dann wäre sie dir zugefallen, ohne daß die Gefahr eines Streits mit Joshua bestanden hätte. Aber nichts dergleichen geschah. Monate verstrichen, und das Feuer von Godolphins Leidenschaft 722

    brannte so heiß wie zu Anfang. Noch nie zuvor hattest du so lange auf eine Frau warten müssen. Wie ein liebeskranker Jugendlicher littest du daran. Du konntest nicht mehr schlafen.
    Allein der Klang von Judiths Stimme genügte, um dein Herz schneller schlagen zu lassen. In einem solchen Zustand konntest du die Rekonziliation kaum voranbringen, und schließlich war Godolphin ebensosehr an einer Lösung des Problems interessiert wie du; als du schließlich glaubtest, eine gefunden zu haben, hörte er dir aufmerksam zu.«
    »Worin bestand die Lösung?« fragte Gentle.
    »Dein Vorschlag lautete: ›Schaffen wir eine zweite Judith, die sich nicht von der ersten unterscheidet.‹ Nun, mit deiner Magie warst du dazu durchaus imstande.«
    »Zwei Judiths? Eine für Joshua...«
    »Und eine für dich. Ganz einfach. Und gleichzeitig unerhört schwierig. Und gefährlich. Doch die damaligen Tage brachten Begeisterung und Euphorie. Fremde Domänen, seit vielen Jahrtausenden den meisten Menschen unzugänglich, waren nur noch wenige Zeremonien entfernt. Der Himmel selbst rückte in greifbare Nähe. Im Vergleich dazu erschien es als Kinderspiel, eine zweite Judith zu schaffen. Nun, du erklärtest Joshua deine Idee, und er war einverstanden...«
    »Einfach so?«
    »Du hast die Sache besonders reizvoll präsentiert und ihm eine noch bessere Judith in Aussicht gestellt. Eine Frau, die nicht altert, die ihm immer treu bleibt. Und nicht nur ihm -
    auch seinen Söhnen und den Söhnen seiner Söhne. Die neue Judith sollte den Männern der Familie Godolphin bis in alle Ewigkeit gehören: gehorsam, bescheiden, anspruchslos - die perfekte Frau.«
    »Und was hielt das Original davon?«
    »Es hatte keine Ahnung«, antwortete Sartori. »Du hast Judith betäubt und sie ins Meditationszimmer im Haus an der Gamut Street gebracht, um dort ein Feuer im Kamin zu entzünden, die 723

    Schlafende zu entkleiden und mit dem Ritual zu beginnen. Sie mußte gesalbt und in einen Kreis aus Sand gelegt werden, der vom Rand der Zweiten Domäne stammte, dem heiligsten Boden von Imagica. Anschließend hast du gebetet und gewartet.« Der Autokrat legte eine kurze Pause ein. »Eine derartige Beschwörung dauert ziemlich lange - mindestens elf Stunden. Du konntest beobachten, wie die Doppelgängerin im Kreis neben dem Original wuchs. Natürlich hattest du dafür gesorgt, daß sich außer dir niemand im Haus befand, nicht einmal der Mystif. Immerhin handelte es sich um eine geheime Zeremonie. Nun, du warst also allein, doch nach einer Weile bekamst du einen Begleiter namens Langeweile. Wenn du dich langweilst, greifst du oft zur Flasche. Stell dir die Situation vor: Du sitzt allein im Zimmer und beobachtest die reglose Judith, bewunderst ihre Schönheit. Du kippst Brandy in dich hinein -
    und läßt dich dadurch zum größten Fehler deines Lebens hinreißen: ziehst dich aus, betrittst den Kreis und stellst all das mit Judith an, was ein Mann mit einer Frau anstellen kann.
    Obgleich sie gar nicht in der Lage ist, auf dich zu reagieren. Du bumst sie

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