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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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geblieben ist. Kehr in die Fünfte Domäne zurück und bring dort zu Ende, was du einst begonnen hast. Führe die Welten zusammen. Allein darin liegt dein Heil.«
    Der steinerne Himmel geriet einmal mehr in Bewegung, und dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne. Mit der Dunkelheit kehrte auch die Kälte zurück. Trotzdem verharrte Gentle noch 719

    einige Sekunden lang im Schatten des Zapfens und hoffte darauf, einen göttlichen Trost zu vernehmen, vielleicht nur ein Flüstern, das ihn von der schrecklichen Aufgabe erlöste, sie jemandem überließ, der sich besser dafür eignete. Doch die Stille dauerte an. Die Vision war vorbei, wiederholte sich nicht.
    Zacharias schlang die Arme um seinen zitternden Leib und wankte zu Sartori, dessen Zigarette nun auf dem Boden lag.
    Die Verblüffung im Gesicht des Autokraten machte deutlich: Wenn er nicht alles verstanden hatte, so doch das Wichtigste.
    »Der Unerblickte hat gesprochen«, brachte er hervor, und seine Stimme war fast so leise wie die des Gottes.
    »Ich lege keinen Wert darauf, ein Auserwählter zu sein«, sagte Gentle.
    »Dies ist wohl kaum der geeignete Ort, um Ihm zu widersprechen.« Sartori warf einen besorgten Blick auf den Zapfen.
    »Ich widerspreche Ihm gar nicht«, meinte Zacharias. »Ich stelle nur fest, daß ich alles andere als begeistert bin.«
    »Trotzdem halte ich es für besser, das Gespräch an einem anderen Ort fortzusetzen«, hauchte Sartori und öffnete die Tür.
    Er führte Gentle nicht in das kleine, schäbige Zimmer zurück, sondern in eine Kammer am anderen Ende des Flurs.
    Im Gegensatz zum ersten Raum gab es dort ein Fenster. Es war verstaubt, aber nicht so schmutzig wie der Himmel dahinter.
    Das Morgengrauen kroch heran, doch dicke, fette Rauchwolken fraßen das erste Licht des neuen Tages.
    »Deshalb bin ich nicht gekommen«, sagte Gentle, als er nach draußen in die Düsternis sah. »Ich wollte Antworten.«
    »Du hast welche erhalten.«
    »Die Botschaft lautet vermutlich: Du mußt nehmen, was dir zusteht - selbst wenn es dir nicht paßt.«
    »Es geht dabei nicht nur um dich, sondern auch um mich.
    Gemeint ist Verantwortung, Schmerz...« Sartori zögerte. »Und natürlich auch Ruhm.«
    720

    Gentle sah ihn an. »Es betrifft allein mich«, sagte er schlicht.
    Der Autokrat zuckte mit den Schultern, als sei ihm die ganze Sache völlig gleich, und in jener Geste erkannte Zacharias seine eigene Schläue. Wie oft hatte er auf diese Weise die Schultern gehoben und gesenkt, die Brauen gewölbt, die Lippen geschürzt, sich gleichgültig gegeben? Er ließ Sartori in dem Glauben, daß der Bluff funktionierte.
    »Ich bin froh, daß du verstehst«, sagte er. »Es ist meine Bürde.«
    »Du hast schon einmal versagt.«
    »Ich hätte es fast geschafft«, entgegnete Gentle, und es klang so, als könne er sich jetzt wieder an alles erinnern - was nicht der Fall war. Vielleicht ließ sich der Autokrat mit dieser Taktik dazu bewegen, Informationen preiszugeben?
    »›Fast‹ genügt nicht«, erwiderte Sartori. »›Fast‹ ist gefährlich, eine Tragödie. Sieh nur, welche Konsequenzen sich für dich ergeben haben. Du kehrst konfus hierher zurück...«
    »Der Zapfen vertraut mir.«
    Dieser Hinweis berührte einen wunden Punkt. Plötzlich schrie Sartori:
    »Zum Teufel mit dem Zapfen! Warum sollst ausgerechnet du der Rekonziliant sein, der die Domänen zusammenführt?
    Warum? Hundertfünfzig Jahre lang habe ich über Imagica geherrscht, und ich weiß, wie man mit Macht umgeht. Du hast überhaupt keine Ahnung davon.«
    »Das ist dein Motiv?« vergewisserte sich Gentle. Diese Worte kamen einem Köder gleich. »Du wolltest meinen Platz einnehmen und zum Rekonzilianten werden?«
    »Ich bringe bessere Voraussetzungen dafür mit«, ereiferte sich Sartori. »Du erbringst nur gute Leistungen, wenn es darum geht, Frauen nachzujagen.«
    »Bist du vielleicht impotent?«
    »Ich weiß, was du vorhast. Ja, diesen Trick kenne ich gut.
    Du willst mich provozieren, damit ich dir im Zorn Geheimnisse 721

    verrate. Und wenn schon! Wozu auch immer du imstande bist -
    ich kann es besser als du. Du hast all die Jahr verschwendet, indem du im verborgenen geblieben bist, aber ich habe sie genutzt. Mein Wille schuf ein Reich. Und du? Was kannst du vorweisen?« Sartori wartete keine Antwort ab. Er kannte seinen Gesprächspartner zu gut. »Du hast nichts dazugelernt.
    Bei einem zweiten Rekonziliationsversuch würdest du die gleichen Fehler machen wie beim ersten.«
    »Welche Fehler meinst

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