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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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seinem Gesicht sollte Pie'oh'pah begrüßen und verblaßte, als er Zacharias sah. Mit zwei langen Schritten war er an der Tür und warf sie zu. Gentle rief Pies Namen, aber die Pforte fiel vorher ins Schloß, und dadurch wurde es fast völlig dunkel im Flur.
    Der erst vor wenigen Sekunden abgelegte Eid war gebrochen -
    erneut waren Pie'oh'pah und Gentle voneinander getrennt.
    Zornig warf sich Zacharias gegen die Tür, doch wie alles andere im Palast schien sie massiv genug zu sein, um eine Ewigkeit zu überdauern. Wie sehr er auch versuchte, sie aufzubrechen: er holte sich nur blaue Flecken an den Schultern.
    Gentle achtete nicht auf den Schmerz; er dachte an das Begehren in Sartoris Augen, als er von seinen Erfahrungen mit Mystifs gesprochen hatte. Vielleicht schlang er jetzt die Arme um Pie'oh'pah, um ihn zu küssen, ihn zu besitzen?
    Noch ein letztes Mal warf er sich gegen die Tür, und dann 729

    fiel ihm ein, daß ihm ein anderes, weitaus wirkungsvolleres Mittel zur Verfügung stand. Er holte Luft, fing den Atem mit der Faust und schleuderte ihn gegen die Tür, verwendete das Pneuma so, wie er es in den Jokalaylau gelernt hatte. Beim erstenmal waren mehrere Versuche notwendig gewesen, um das Eis des Gletschers zu zersplittern, doch diesmal lag der Fall anders. Sein Bestreben, auf die andere Seite der Tür zu gelangen, mochte intensiver sein als der Wunsch, die Frauen im Eis zu befreien. Hinzu kam, daß er als Maestro Sartori zumindest ein wenig über die eigene Macht Bescheid wußte.
    Diese beiden neuen Situationsaspekte führten dazu, daß der Stahl vor ihm schon dem ersten Pneuma nachgab - ein Riß entstand.
    Er hörte den Schrei des Autokraten, verschwendete jedoch keine Zeit mit dem Versuch, die Worte zu verstehen. Ein zweites Pneuma zerfetzte Metall, und Gentles Faust schuf gleich darauf ein großes Loch. Splitter sausten kleinen Geschossen gleich umher. Zum dritten Mal hob er die Hand zum Mund, roch dabei sein eigenes Blut. Aber welche Verletzungen auch immer er sich zugezogen hatte - er spürte nicht den geringsten Schmerz. Entschlossen fing er den dritten Atem und schleuderte ihn mit einem Schrei, der einem Samurai zur Ehre gereicht hätte. Die Angeln knirschten und knarrten, und die Tür flog auf. Gentle sprang ins Zimmer, noch bevor die stählerne Pforte auf den Boden prallte, doch der Raum erwies sich als leer. Besser gesagt: Es hielten sich keine Lebenden darin auf. Drei Leichen - Kameraden des Uniformierten, der Alarm gegeben hatte - lagen vor dem Tisch, ebenfalls mit aufgeschlitzten Kehlen. Zacharias stieg über sie hinweg, und seine verletzte Hand fügte den dunklen Lachen auf dem Boden eigenes Blut hinzu.
    Im nächsten Korridor erwarteten ihn dichte Rauchschwaden
    - irgendwo im Palast schien etwas zu brennen. Trotz des Qualms sah er Sartori und Pie'oh'pah etwa fünfzig Meter weiter 730

    vorn. Irgendwie war es dem Autokraten gelungen, den Mystif daran zu hindern, seine Mission zu erfüllen. Es mußte eine sehr überzeugende Lüge gewesen sein: Sie liefen durch den Rauch, ohne einen einzigen Blick über die Schulter zu werfen, und wirkten wie ein Liebespaar, das durchs Portal des Todes entkommen war.
    Gentle atmete tief durch. Diesmal ging es ihm nicht darum, ein weiteres Pneuma einzusetzen; er wollte nur rufen.
    Pie'oh'pahs Name kam von seinen Lippen, hallte durch den Flur und teilte dabei die Qualmwolken - die Silben eines Maestros schienen Substanz zu haben. Pie verharrte und drehte sich um. Sartori zerrte an seinem Arm, aber der Mystif bemerkte Gentle, schob die Hand des Autokraten beiseite und trat einen Schritt auf Zacharias zu. Der von dem Ruf geteilte Rauchvorhang schloß sich nun wieder, verwandelte Pies Gesicht in einen vagen Schemen, doch die Körpersprache genügte, um auf Verwirrung hinzuweisen. Der Mystif schien mit sich selbst zu ringen und nicht zu wissen, ob er den Weg fortsetzen oder zurückkehren sollte.
    »Ich bin's!« rief Gentle. »Ich bin's!«
    Sartori blieb neben dem Mystif stehen und richtete beschwö-
    rend klingende Worte an ihn. Zacharias verstand nur einige von ihnen: Offenbar ging es um den Zapfen, um eine von ihm geschaffene Halluzination.
    »Ich bin kein Trugbild«, beharrte Gentle und näherte sich.
    »Ich bin es wirklich. Ich bin Gentle. Dies ist die Realität.«
    Pie'oh'pah schüttelte den Kopf und sah erst Sartori und dann Zacharias an. Seine Verwunderung wuchs.
    »Es ist ein Trick«, behauptete der Autokrat. Er flüsterte jetzt nicht mehr. »Komm, Pie. Laß uns

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