Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Aufpralls raubte ihm das Gleichgewicht, er stieß gegen Gentle und ging mit ihm zu Boden. Zacharias zögerte nicht, rollte sich sofort unter Pie'oh'pah hervor und wollte ein Pneuma einsetzen, um sich selbst und den Mystif zu verteidigen. Doch Sartori wich bereits in die Rauchschwaden zurück; sein Gesicht zeigte dabei einen Ausdruck, der sich in Gentles Gedächtnis brannte: mehr Kummer als Triumph, mehr Leid als Zorn.
    »Wer soll nun die Domänen zusammenführen?« fragte er, bevor er im Qualm verschwand. Die Rauchwolken schienen sich seinem Willen zu fügen und einen Vorhang zu bilden, der ihm die Flucht ermöglichte.
    Gentle verzichtete darauf, den Autokraten zu verfolgen. Statt dessen kehrte er zu dem Mystif zurück, der noch auf dem Boden lag. Er kniete sich neben ihn.
    »Wer war das?« fragte Pie.
    »Ein Wesen, das ich selbst erschuf«, antwortete Gentle. »Damals, als ich ein Maestro war.«
    »Ein zweiter Sartori?« brachte Pie'oh'pah hervor.
    »Ja.«
    »Dann such ihn. Und bring ihn um. Solche Geschöpfe sind besonders gefährlich...«
    »Später.«
    »Laß nicht zu, daß er entkommt.«
    »Er kann nicht entkommen, Pie. Ganz gleich, wohin er flieht 734

    - ich finde ihn.«
    Pie preßte die Hände auf eine bestimmte Stelle seiner Brust: Dort hatte ihn Sartoris ›Auge‹ getroffen.
    »Laß mich sehen.« Behutsam zog Gentle die Finger des Mystifs beiseite und öffnete dann das Hemd. Die Wunde war ein Fleck auf der Haut, schwarz in der Mitte, gelb und pustelartig am Rand.
    »Wo ist Huzzah?« erkundigte sich Pie und atmete rasselnd.
    »Sie fiel einem Nullianac zum Opfer«, sagte Gentle.
    »Soviel Tod«, murmelte der Mystif. »Der zweite Sartori... Er hat mich getäuscht. Ich hätte dich umgebracht - ohne etwas davon zu ahnen.«
    »Sprechen wir nicht mehr vom Tod«, sagte Gentle. »Wir finden irgendeine Möglichkeit, dich zu heilen.«
    »Es gibt dringendere Angelegenheiten«, keuchte Pie. »Ich bin gekommen, um den Autokraten zu töten...«
    »Nein, Pie...«
    »So lautete das Urteil«, beharrte der Mystif. »Aber jetzt bin ich nicht mehr imstande, dieser Pflicht zu genügen. Nimmst du sie an meiner Stelle wahr?«
    Gentle schob die Hand unter Pies Kopf und half ihm auf.
    »Ich kann nicht«, sagte er.
    »Warum nicht? Ein Pneuma würde genügen.«
    »Nein, Pie. Ich bin nicht in der Lage, mich selbst zu töten.«
    »Was?«
    Der Mystif starrte verwirrt zu Gentle empor, doch seine Verwunderung dauerte nicht lange. Pie ersparte es Gentle, die Situation zu erklären, indem er kummervoll seufzte und flüsterte:
    »O mein Gott.«
    »Ich fand ihn im Zapfenturm. Zuerst glaubte ich, meinen Augen nicht trauen zu können...«
    »Autokrat Sartori«, sagte Pie langsam und lauschte dem Klang dieser Silben. Und dann, hohler und wie ein Requiem: 735

    »Es hat einen gewissen Klang.«
    »Du wußtest die ganze Zeit über von meiner Vergangenheit als Maestro, oder?«
    »Ja, natürlich.«
    »Aber du hast mir nie etwas gesagt.«
    »Manchmal geriet ich in große Versuchung. Aber ich durfte nichts verraten. Ich habe geschworen, dich nie an deine wahre Identität zu erinnern.«
    »Wer verlangte einen solchen Eid von dir?« fragte Gentle.
    »Du, Maestro. Du hast gelitten und wolltest dein Leid vergessen.«
    »Und auf welche Weise war das Vergessen möglich?«
    »Es fiel mir nicht schwer, deinen Wunsch zu erfüllen.«
    »Die Lücken in meinem Gedächtnis... Ich verdanke sie dir?«
    Pie nickte. »Ich bin ein Diener gewesen, in jeder Hinsicht.
    Der Eid verlangte von mir, die Vergangenheit zu verstecken und sie dir nie wieder zu zeigen. Ein solcher Schwur gilt selbst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten.«
    »Aber du hast gehofft, daß ich irgendwann die richtige Frage stelle...«
    »Ja.«
    »Daß ich um eine Rückkehr der Erinnerungen bitte.«
    »Ja. Und du warst nahe daran.«
    »In Mai-Ke. Und in den Bergen.«
    »Aber nie nahe genug, um mich von der Verpflichtung zu befreien. Ich mußte auch weiterhin schweigen.«
    »Nun, damit hat es nun ein Ende, mein Freund. Wenn du geheilt bist...«
    »Nein, Maestro«, sagte Pie. »Eine derartige Wunde kann nicht geheilt werden.«
    »Unsinn«, brummte Gentle. Diese Möglichkeit wollte er nicht einmal in Erwägung ziehen.
    Er erinnerte sich an Nikaetomaas' Hinweise auf ein Lager der Mangler, dort, wo die Zweite Domäne an die Erste grenzte.
    736

    Estabrook sollte sich an jenem Ort befinden, wo angeblich Wunderheilungen möglich waren.
    »Wir beginnen jetzt mit einer interessanten Reise, Freund«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher