Imagica
wie eine Kreuzung zwischen Hyäne, Schakal und Wolf anmutete. Es war rundlich und speckig wie ein Schwein, hatte jedoch ein gesprenkeltes Fell.
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Der Kopf wies eine kurze Schnauze mit langen Schnurrhaaren auf. Als das Wesen Dado hörte, spitzte es wie ein Hund die Ohren und bellte und quiekte so schrill, daß Floccus' Stimme im Vergleich dazu ein tiefer Baß zu sein schien.
»Braves Mädchen!« lobte der kleine Mann. »Braves Mädchen!« Das Tier stand nun auf stummelartigen Beinen und wackelte erfreut mit dem Schwanz. Am Unterleib zeigten sich mehrere große Zitzen, die ebenso zitterten und bebten wie der Rest des Körpers.
Dado öffnete die Tür, und auf dem Beifahrersitz lag der Grund für die Bereitschaft des Wesens, Fremde vom Wagen fernzuhalten: fünf kläffende Welpen, perfekte Miniaturausgaben der Mutter. Floccus forderte Gentle und Pie auf, im Fond Platz zu nehmen. Ihnen blieb auch gar keine andere Wahl, denn Mama Sanftundnett, wie er das Geschöpf nannte, beanspruchte den Beifahrersitz für sich und ihren Nachwuchs. Im Innern des Fahrzeugs stank es nach den Tieren, aber der frühere Besitzer hatte Wert auf Komfort und Bequemlichkeit gelegt - es gab genug Kissen für Kopf und Nacken des Mystifs. Mama Sanftundnett schob sich mehrmals an Gentle heran und knurrte drohend, aber Dado besänftigte sie mit einigen unverständlichen Worten, und daraufhin rollte sie sich neben ihm zusammen. Die fünf Welpen krochen sofort zu den Zitzen, um Milch zu saugen. Floccus vergewisserte sich, daß soweit alles in Ordnung war, startete den Motor und fuhr in Richtung des fernen Gebirges.
Nach einigen Kilometern gab Gentle der Müdigkeit nach und schlief ein, den Kopf an Pies Schulter gelehnt. Während der nächsten Stunden wurde die Straße immer schlechter, und der Wagen schaukelte, wodurch Zacharias mehrmals halb erwachte. Traumfetzen hafteten an wirren Gedanken fest. Die Träume betrafen weder Yzordderrex noch Abenteuer, die er mit Pie während ihrer Reisen durch Imagica erlebt hatte - nein, geistig kehrte er zur Fünften zurück, ließ die Schrecken der 743
zusammengeführten Domänen hinter sich und flüchtete zum Vertrauten.
Aber selbst das Vertraute bot nun keine Sicherheit mehr.
Jener Mann, der er einmal gewesen war - Kleins Bastard Boy, der Frauenheld und Fälscher -, stellte sich als Tünche heraus, unter der sich ein ganz anderes Selbst verbarg. Er konnte unmöglich zu dem einfachen, sybaritischen Leben von damals zurückkehren, hatte er doch als Lüge existiert, und zwar in einem Ausmaß, das selbst die argwöhnischste seiner Geliebten (Vanessa; alles begann, als sie ihn verließ) nie erraten hätte.
Zweihundert Jahre der Selbsttäuschung basierten auf dieser Lüge. Als er an Vanessa dachte, fühlte sich Zacharias in das ehemalige Kutscherhäuschen in London zurückversetzt, an die Trostlosigkeit, die er bei der Wanderung durch die leeren Zimmer empfunden hatte. Woraus bestand sein Leben? Aus beendeten Liebesaffären, mehreren gefälschten Bildern und der Kleidung an seinem Leib. In der Rückschau betrachtet, mochte es lächerlich erscheinen, aber damals war er sicher gewesen, nicht noch tiefer fallen zu können. Was für eine Naivität!
Seitdem hatte er genug Aspekte der Verzweiflung kennengelernt, um ein ganzes Buch mit ihnen zu füllen; die bitterste Erinnerung daran ruhte verwundet und krank neben ihm.
Die Vorstellung, Pie zu verlieren, war sehr beunruhigend, doch Gentle wagte es nicht, diese Möglichkeit für vollkommen ausgeschlossen zu halten. Er hatte zu oft die Augen vor dem Unangenehmen verschlossen, mit katastrophalen Folgen. Jetzt mußte er sich den Fakten stellen. Der Mystif wurde mit jeder verstreichenden Stunde schwächer; seine Haut fühlte sich eiskalt an, und er atmete so flach, daß sich seine Brust manchmal kaum mehr hob und senkte. Selbst wenn Nikaetomaas im Hinblick auf die Heilkräfte der sogenannten Rasur nicht übertrieben hatte: Bei einer so schweren Krankheit waren unverzügliche Wunderheilungen ausgeschlossen. Es 744
blieb Gentle keine andere Wahl, als allein in die Fünfte zurückzukehren und zu hoffen, daß sich Pie nach einer Weile gut genug erholt habe, um ihm zu folgen. Je länger er die Rückkehr hinausschob, desto weniger Gelegenheit bekam er, Verbündete im Kampf gegen Sartori zu finden. Jener Kampf ließ sich nicht vermeiden. Die Gier nach Macht und Eroberung loderte heiß in seinem anderen Ich, und vielleicht hatte sie auch einmal in ihm gebrannt, bis
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