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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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von Blasen in der Lagune heimkehrt.
    »Ich bin so müde«, sagte Quaisoir. »Erlaubst du mir, ein wenig auszuruhen?«
    »Natürlich«, erwiderte Jude.
    »Ist Seidux' Blut noch immer auf dem Laken?« wandte sich die Blinde an Concupiscentia.
    »Ja, Ma'am.«
    »Dann möchte ich mich dort nicht hinlegen.« Quaisoir hob den Arm. »Führ mich zum blauen Zimmer. Ich schlafe dort. Du solltest ebenfalls schlafen, Judith. Baden und anschließend schlafen. Später haben wir viel zu besprechen, viel zu plaudern.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, Schwester«, bestätigte Quaisoir. »Bis dann...«
    Concupiscentia geleitete ihre Herrin in den Flur, und Jude trat an das Bett heran. Sie entdeckte einige Blutflecken auf dem Laken, aber trotzdem spürte sie das Verlangen, sich darauf auszustrecken. Behaglichkeit lockte ebenso wie ein herrlicher Duft, der vom Kopfkissen ausging. Irgendwie gelang es ihr, der Versuchung zu widerstehen; sie verließ das Zimmer und begann mit der Suche nach dem Bad. Eigentlich erwartete sie einen weiteren Raum mit barocker Pracht, doch erstaunlicherweise handelte es sich um den einzigen Raum, der zumindest einen Hauch Zurückhaltung offenbarte. Erfreut ließ sie heißes Wasser einlaufen, wusch sich Asche von der Haut und betrachtete ihr Spiegelbild in den beschlagenen schwarzen Fliesen.
    Nach einer Weile kletterte sie mit prickelnder Haut aus der Wanne und sah voller Abscheu ihre schmutzige, stinkende Kleidung an. Jude hob sie nicht auf, wählte statt dessen das einfachste Gewand aus Quaisoirs Garderobe und begab sich wieder ins Schlafzimmer. Ein Mann war hier umgebracht worden, erst vor wenigen Stunden. Früher hätte dieser Gedanke 750

    genügt, um sie zu veranlassen, aus dem Raum zu fliehen, aber jetzt schuf er überhaupt keine Unruhe. Vielleicht lag es am Duft, der vom Kissen ausging, vielleicht betäubten jene Aromen Besorgnis und Nervosität in Judith. Vielleicht verschworen sie sich mit Erschöpfung zu einem Komplott, das sie in einen Kokon der Mattigkeit hüllte. Sie konnte dem Ruf des Schlafes nicht widerstehen, hätte es nicht einmal dann geschafft, wenn es eine Frage des Überlebens gewesen wäre.
    Die Anspannung wich aus ihrem Leib, und eine angenehme Ruhe überkam sie. Jude streckte sich aus, schloß die Augen und ließ sich vom Bett ihrer Schwester in den Schlaf tragen.
    Selbst während der trübsinnigsten und schwermütigsten Meditationen im Zapfenturm hatte Sartori nie eine solche Leere gefühlt wie jetzt, nach der Trennung von seinem anderen Selbst. Als er Gentle begegnet war und hörte, wie ihn der Zapfenzur Rekonziliation aufforderte... Daraufhin erahnte er ganz neue Möglichkeiten, eine Vereinigung der beiden Ichhälften, die innere Heilung brachte, Leeres füllte. Doch Gentle brachte jener Vision nur Verachtung entgegen, zog den Mystif-Ehepartner dem eigenen Bruder vor. Vielleicht sorgte Pie'oh'pahs Tod dafür, daß er seine Meinung änderte, aber Sartori bezweifelte es. Er versuchte, sich in Gentles Lage zu versetzen, was ihm nicht weiter schwerfiel - immerhin war jeder von ihnen ein Spiegelbild des anderen -, und stellte sich die Reaktion auf den Tod des Mystifs vor. Sie bestand in dem Bestreben, Vergeltung zu üben. Nein, jetzt konnte es keine Versöhnung mehr geben, nur noch erbitterte Feindschaft.
    Er sprach nicht darüber, als Rosengarten im Erker zu ihm trat und wartete, während der Autokrat Kakao schlürfte und grübelte. Sartori gab dem Mann keine Chance, von den Katastrophen der vergangenen Nacht zu berichten - die Generäle tot; das Heer besiegt; viele der überlebenden Soldaten desertiert. Als Rosengarten mit betreffenden Schilderungen begann, unterbrach der Herrscher ihn sofort und meinte, es 751

    habe keinen Sinn, um Verlorenes zu trauern. Viel wichtiger sei es, Pläne zu schmieden.
    »Wir suchen die Fünfte Domäne auf, Sie und ich«, sagte er.
    »Und dort bauen wir eine neue Stadt wie Yzordderrex.«
    Es geschah nicht häufig, daß Rosengarten Erstaunen zeigte, doch diesmal wölbte er ansatzweise eine Braue. »In der Fünften?«
    »Ich weiß, es sind viele Jahre vergangen, seit ich sie verließ, aber bestimmt erwarten uns dort keine Probleme. Die mir bekannten Maestros sind tot, und ihre Weisheit geriet in Verruf. Jene Welt ist praktisch schutzlos. Wie nehmen sie uns einfach, mit einem Zauber, dem niemand Widerstand leisten kann. Und dann bauen wir unser neues Yzordderrex und sorgen dafür, daß die Stadt auch im Herzen aller Bewohner der Fünften existiert.«
    Rosengarten

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