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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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werden.«
    Gentle blickte erneut zum Nichts hinüber.
    »Darf man sich von Leere Heilung erhoffen?« fragte er leise.
    »Oder stellt sie den Tod in Aussicht?«
    »Vielleicht liegen Tod und Heilung näher beieinander, als wir glauben«, orakelte Athanasius.
    »Das möchte ich nicht hören«, sagte Gentle. »Bleiben Sie hier?«
    »Eine Zeitlang, ja«, bestätigte der Pater. »Wenn Sie sich entscheiden, das Lager zu verlassen... Bitte kommen Sie vorher zu mir, damit wir uns verabschieden können.«
    »Ja, natürlich.«
    Zacharias wandte sich von Athanasius und dem Nichts ab, kehrte in das Geschöpf aus Zelten zurück und dachte: Jetzt könnte ich einen ordentlichen Drink vertragen. Als er dorthin zurückkehrte, wo der Mystif litt, vernahm er eine Stimme, deren rauher Klang an diesem heiligen Ort sofort auffiel. Hinzu kam ein Lallen, das die Botschaft vermittelte: Dieser Mann hatte sich den Wunsch nach einem ordentlichen Drink gleich mehrfach erfüllt.
    »He, Gentle, alter Knabe!«
    Estabrook wankte näher, und sein breites Grinsen zeigte 767

    Zahnlücken.
    »Ich habe gehört, daß Sie hier sind - und konnte es kaum fassen.« Er packte Zacharias' Hand und schüttelte sie. »Aber jetzt stehen Sie vor mir, in Fleisch und Blut. Wer hätte gedacht, daß wir uns ausgerechnet hier Wiedersehen, hm?«
    Das Leben im Lager war nicht ohne Folgen für Estabrook geblieben. Gentle erinnerte sich an ihre Begegnung auf dem Kite Hill - im Vergleich mit jenem Mann erschien dieser Charles Estabrook wie ein Fremder. In seiner jetzigen Aufmachung wirkte er fast wie ein Clown: knittrige Nadelstreifenhose; ausgefranste Hosenträger; offenes, fleckiges Hemd; gekrönt vom kahlen Kopf und einem zumindest teilweise zahnlosen Lächeln.
    »Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen!« betonte Estabrook immer wieder und strahlte. »Wir haben uns viel zu erzählen, und dieser Zeitpunkt ist bestens dafür geeignet. Die Leute verlassen gleich das Lager, um draußen über ihre Unwissenheit zu meditieren. Nun, für einige Zeit mag das recht interessant sein, aber dann wird's langweilig. Kommen Sie, kommen Sie!
    Ich habe ein eigenes kleines Plätzchen - damit ich den anderen nicht im Weg bin.«
    »Vielleicht später«, sagte Gentle. »Ich muß mich um einen kranken Freund kümmern.«
    »Jemand erzählte mir davon. Ein Mystif, nicht wahr? Ist das die richtige Bezeichnung?«
    »Ja.«
    »Es sollen sehr außergewöhnliche Geschöpfe sein. Darf ich Sie zu dem Patienten begleiten?«
    Es lag Gentle kaum etwas an Estabrooks Gesellschaft, aber er lehnte sein Anliegen nicht ab. Aus gutem Grund: Vermutlich machte er sich sofort auf und davon, wenn er Pie als den Killer erkannte, den er beauftragt hatte, seine Frau zu ermorden.
    Gemeinsam gingen sie zum Bett des Mystifs. Floccus wartete dort mit einer Lampe und einem überraschend großen Vorrat 768

    an Nahrungsmitteln. Mit vollem Mund stand er auf, um sich vorstellen zu lassen, doch Estabrook schenkte ihm kaum Beachtung. Sein Blick klebte an Pie fest, der den Kopf zur Seite gedreht hatte, das Gesicht der Ersten Domäne zugewandt.
    »Mann, ich beneide Sie«, murmelte Charlie. »Diese Frau ist eine wahre Schönheit.«
    Floccus sah Gentle an, um festzustellen, wie er auf Estabrooks Irrtum bezüglich des Geschlechts reagierte. Aber Zacharias schüttelte nur den Kopf. Es erstaunte ihn, daß Pie noch immer fähig war, sein Erscheinungsbild der jeweiligen Perspektive des Beobachters anzupassen, obgleich es ihm schlechter ging. Gentle sah die traurige Wahrheit, einen Körper, der immer mehr an Substanz zu verlieren schien. Blieb dieser Anblick für Maestros reserviert? Er kniete neben der Liege nieder und musterte die sanften Züge; Pies Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern.
    »Träumst du von mir?« flüsterte Gentle.
    »Erholt sie sich allmählich?« fragte Estabrook.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Zacharias. »Dieser Ort soll die Heilung erleichtern, aber ich bin skeptisch.«
    »Wir sollten wirklich miteinander reden«, wiederholte Charlie mit der erzwungenen Beiläufigkeit eines Mannes, der etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, sich jedoch ein weniger großes Publikum wünschte. »Was halten Sie davon, ein Gläschen mit mir zu trinken? Floccus gibt Ihnen sicher Bescheid, wenn etwas passiert.«
    Dado kaute und nickte, woraufhin Gentle nachgab.
    Vielleicht wußte Estabrook etwas, das ihm bei der Entscheidung half, ob er im Lager bleiben oder es verlassen solle.
    »Nur fünf Minuten«, versprach er Floccus und

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