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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Nase hob, um daran zu schnuppern.
    »Ach, das Mädchen denkt an alles«, seufzte Quaisoir.
    »Concupiscentia weiß genau, was ich brauche.«
    »Handelt es sich um Rauschgift?« fragte Jude und legte die Lebensmittel beiseite. »Wenn das der Fall ist, so möchte ich nicht, daß du es nimmst. Ich brauche dich hier, nicht auf einem Trip.«
    »Willst du mir diesen Genuß vorenthalten, nachdem du so angenehm in meinem Bett geträumt hast?« entgegnete Quaisoir. »O ja, ich habe dein Keuchen und Stöhnen gehört.
    Wen zeigte dir deine Imagination?«
    »Das ist meine Angelegenheit.«
    »Und dies ist meine«, betonte Quaisoir. Hastig öffnete sie die Packung, und darin kam ein Würfel zum Vorschein, der einen recht appetitanregenden Eindruck erweckte; er sah wie 817

    Fondant aus. »Wenn du ohne irgendein Laster bist, Schwester, so kannst du mir eine Moralpredigt halten. Obwohl ich dir dabei nicht zuhören werde.«
    Sie schob sich den ganzen Kreauchee-Würfel in den Mund und kaute zufrieden. Unterdessen suchte Judith nach konventioneller Nahrung und wählte eine Frucht, die einer kleinen Ananas ähnelte. Der Saft war sehr sauer, doch das Fruchtfleisch erwies sich als recht schmackhaft. Anschließend probierte sie Brot und Fleisch: Nach den ersten Bissen wurde ihr klar, daß sie einen regelrechten Heißhunger hatte. Sie stopfte alles in sich hinein und spülte es mit herbem Wasser aus der Flasche hinunter. Das Flüstern und Raunen der zahllosen Gebete hatte zunächst ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht, doch Obst, Brot, Fleisch und Wasser konfrontierten sie mit anderen, unmittelbaren Empfindungen. Das Stimmenchaos wich immer mehr in den Hintergrund zurück, und Jude verschwendete kaum mehr einen Gedanken daran, bis sie die Mahlzeit beendet hatte. Zu jenem Zeitpunkt war das Kreauchee ganz offensichtlich wirksam geworden: Quaisoir beugte den Oberkörper vor und zurück und schien dabei dem Sog nur für sie existierender Gezeiten nachzugeben.
    »Hörst du mich?« fragte Judith.
    Es dauerte eine Weile, bis die Blinde antwortete. »Warum kommst du nicht näher?« fragte sie. »Küß mich - dann können wir das Kreauchee teilen. Von Mund zu Mund. Von Geist zu Geist.«
    »Ich möchte dich nicht küssen.«
    »Wieso nicht? Begegnest du dir selbst mit soviel Abscheu, daß du dich nicht lieben kannst?« Quaisoir lächelte, von ihrer abstrusen Logik amüsiert. »Hast du jemals eine Frau geliebt?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Ich schon. In der Bastion. Es war besser als mit einem Mann.«
    Einmal mehr beugte sie sich vor, griff nach Judiths Hand 818

    und fand sie sofort.
    »Du frierst.«
    »Nein, dir ist heiß«, erwiderte Jude und wich zurück, um den physischen Kontakt zu beenden.
    »Weißt du, warum es hier so kalt ist, Schwester?« fragte Quaisoir. »Es liegt an der Grube unter der Stadt, an jenem Ort, der den falschen Erlöser aufnahm.«
    Judith blickte zum Gitter und schauderte. Irgendwo dort unten lagen die Toten.
    »Du bist ebenso kalt wie eine Leiche«, fuhr Quaisoir fort.
    »Ein Herz aus Eis...« Sie formulierte diese Worte in einem Singsang und neigte dabei den Oberkörper noch immer vor und zurück. »Arme Schwester. Schon tot zu sein...«
    »Ich möchte nichts mehr davon hören«, sagte Judith. Bisher hatte sie sich Gleichmut und Ruhe bewahrt, doch Quaisoirs wirres Gerede stellte ihre Geduld auf eine harte Probe. »Wenn du nicht aufhörst, lasse ich dich hier allein zurück«, drohte sie.
    »Bitte nicht«, gurrte Quaisoir. »Ich möchte, daß du bleibst und mich liebst.«
    »Ich habe dir eben gesagt...«
    »Von Mund zu Mund. Von Geist zu Geist.«
    »Du wiederholst dich.«
    »So wie die ganze Welt«, behauptete Quaisoir. »Oder die Welten. Alles wiederholt sich. Nie gibt es etwas wahrhaft Neues.« Sie hob die Hand zum Mund, als wollte sie auf diese Weise weitere Worte zurückhalten. Doch die Finger verweilten nicht lange auf den Lippen. »Es gibt keinen Weg herein und keinen hinaus, sagt die Göttin. Wenn wir uns lieben, wiederholen wir uns selbst, bewegen uns im Kreis...«
    Zum zweiten Mal griff sie nach Judiths Hand, und auch diesmal fand sie sofort das Ziel. Ihr Verhaltensmuster war ebenso eine Wiederholung wie die Worte, und Jude rang sich zu der Erkenntnis durch, daß sie nun ein Beispiel für die egozentrische Natur ihrer Schwester erlebte, verstärkt vom 819

    Kreauchee. Wenn die Welt wirklich nur aus Wiederholungen bestand... Es klang nach einer Falle, der Jude sofort entkommen wollte.
    »Ich kann nicht länger

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