Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
und Gentle zur Waterloo Bridge und hielten unterwegs nach einem Taxi Ausschau, das sie zu Judith bringen konnte. Es war noch nicht sechs Uhr.
    Zwar wurde der Verkehr in Richtung Norden dichter, als die ersten Pendler erschienen, doch von Taxis war weit und breit nichts zu sehen. Die beiden Männer setzten den Weg über die Brücke fort und hofften, daß ihre Suche auf der anderen Seite des Flusses zum Erfolg führen würde.
    »Daß du dich ausgerechnet bei solchen Leuten aufgehalten hast...«, sagte Clem. »Bestimmt bist du nie in seltsamerer Gesellschaft gewesen.«
    1019

    »Offenbar hast du erwartet, mich dort anzutreffen«, erwiderte Gentle.
    »Ja, offenbar habe ich das.«
    »Und glaub mir: Ich bin in weitaus merkwürdigerer Gesellschaft gewesen.«
    »Ich glaube dir. Gern möchte ich hören, was du bei deiner Reise durch die Domänen gesehen und erlebt hast. Bist du bereit, mir eines Tages davon zu erzählen?«
    »Natürlich. Allerdings dürfte ein solcher Reisebericht ohne Karte recht schwierig sein. Ich habe mir immer wieder vorgenommen, eine zu zeichnen - um mich besser orientieren zu können, wenn ich noch einmal durch Imagica unterwegs bin.«
    »Aber vermutlich bist du nie dazu gekommen, deine Absicht zu verwirklichen, oder?«
    »Nein. Es fehlte immer an Zeit. Dauernd lenkte mich irgend etwas ab.«
    »Sag mir wenigstens, was... He, ich sehe ein Taxi!«
    Clem trat auf die Straße und winkte. Der Wagen hielt an; sie stiegen beide ein und nannten dem Fahrer das Ziel. Doch der Mann fuhr nicht los, statt dessen sah er in den Spiegel.
    »Ist das jemand, den Sie kennen?« fragte er.
    Gentle und Clem blickten in die Richtung, aus der sie kamen. Montag lief über die Brücke, kam schnaufend näher und bat darum, mitkommen zu dürfen.
    »Bitte erlaub mir, dich zu begleiten, Boß. Es wäre nicht fair, wenn du ablehnst. Immerhin habe ich meine Farben mitgebracht. Und du kannst doch nicht ohne meine Farben aufbrechen, oder?«
    »Ich darf nicht riskieren, daß dir etwas zustößt«, erwiderte Gentle.
    »Wenn mir etwas zustößt, sind es meine eigenen Schmerzen, und ich bin selbst dran schuld.«
    »Fahren wir jetzt oder nicht?« fragte der Mann am Steuer.
    102
    0

    »Bitte laß mich mitkommen, Boß.«
    Gentle zuckte mit den Schultern und nickte. Während des Flehens war das Lächeln aus dem Gesicht des Jungen verschwunden, doch nun kehrte es zurück und wuchs zu einem Grinsen, als er einstieg und wie triumphierend die Kreidestifte in der Tabakdose klappern ließ.
    »Ich habe die Farben mitgebracht«, betonte er noch einmal.
    »Falls wir sie brauchen. Falls wir auf die schnelle eine Domäne malen wollen.«
    Die Fahrt zu Judiths Wohnung dauerte nicht lange, aber überall gab es Zeichen dafür, daß die Bewohner der Stadt immer mehr unter der schon seit Tagen herrschenden Schwüle litten. Für sich genommen waren die einzelnen Anhaltspunkte kaum der Rede wert, doch ihre Summe vermittelte eine deutliche Botschaft. An jeder Ecke stritten sich Leute, und manchmal fanden solche Auseinandersetzungen auch mitten auf der Straße statt. Fast alle Passanten zeigten finstere Mienen.
    »Tay sprach von einer Leere, die sich uns nähert«, sagte Clem, als sie an einer Kreuzung warteten: Polizisten hinderten zwei wütende Autofahrer daran, sich mit ihren Krawatten gegenseitig zu erwürgen. »Gehört das dazu?«
    »Es ist reiner Wahnsinn«, meinte der Mann am Steuer.
    »Während der letzten fünf Tage gab es mehr Morde als im ganzen letzten Jahr - das habe ich irgendwo gelesen. Aber es geht nicht nur um Morde und so. Die Leute schnappen einfach über. Am Dienstag war 'n Kumpel und Kollege von mir bei Arsenal unterwegs, als sich ihm eine Frau vor den Wagen warf.
    Er konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Eine üble Sache.«
    Den Beamten gelang es, die beiden Streitenden voneinander zu trennen und zu verschiedenen Seiten der Straße zu führen.
    »Ich weiß nicht, was mit der Welt los ist«, fuhr der Taxifahrer fort. Und er wiederholte: »Der reinste Wahnsinn.«
    Er schaltete das Autoradio ein, als der Verkehr wieder in 1021

    Bewegung geriet, und pfiff falsch zu der aus dem Lautsprecher klingenden Melodie.
    »Können wir dieser Entwicklung irgendwie Einhalt gebieten?« wandte sich Clem an Gentle. »Oder wird es immer schlimmer?«
    »Ich hoffe, die Rekonziliation zieht einen Schlußstrich darunter. Aber es gibt keine Gewißheit. Diese Domäne ist so lange von den anderen getrennt gewesen, daß sie an ihrem eigenen Gift erstickt.«
    »Wir

Weitere Kostenlose Bücher