Imagica
versuchte, wuchsen Körper und Geist erneut zu einer Einheit zusammen. Er befand sich wieder im Hotel, und das einzige Licht stammte vom Fernseher im Wohnzimmer: Das unstete Glühen der Mattscheibe spiegelte sich im Glas der halb geöffneten Tür wider. Er war nun wach, doch an seinem 106
Empfinden änderte sich nichts. Ein leises Seufzen bestätigte die Ahnungen des Instinkts: Eine Frau weilte in der Nähe.
»Judith?« fragte er.
Sie strich ihm mit einer kühlen Hand über den Mund, eine Geste, die ihn zum Schweigen aufforderte - und gleichzeitig eine stumme Antwort auf seine Frage. Zwar blieb sie in der Dunkelheit verborgen, doch wenige Sekunden später konnte an ihrer Existenz kein Zweifel mehr bestehen: Die Hand kroch vom Mund zur Brust. Gentle griff nach oben, um den Kopf der Frau behutsam herabzuziehen und ihre Lippen zu schmecken.
Jetzt bedauerte er die Finsternis nicht mehr, denn sie verhüllte auch die Genugtuung in seinen Zügen. Judith war doch noch zu ihm gekommen. Trotz der vielen Ablehnungssignale in ihrem Apartment, trotz Marlin und der gefährlichen Straßen, trotz einer bitteren Vergangenheit - sie war gekommen und trug das Geschenk ihres Körpers zu ihm ins Bett.
Gentle konnte sie noch immer nicht sehen. Seine Fantasie verwandelte die Dunkelheit in eine schwarze Leinwand, und darauf malte er ein perfektes Bild ihrer Schönheit. Seine Finger fanden makellose Wangen. Sie waren kühler als Judes Hände, die nun seinen Bauch erreichten und fest zudrückten, als sie sich über ihn beugte. Ein exquisiter Synchronismus entstand zwischen ihnen. Gentle dachte an Judiths Zunge - und spürte sie. Er stellte sich ihre Brüste vor, und sie nahm seine Hände, führte sie zu ihnen. Er wünschte sich, ihre Stimme zu hören, und daraufhin erklang sie, sprach verblüffende Worte, die Feuer in ihm schürten.
»Mir blieb keine Wahl...«, sagte sie.
»Ich weiß, Ich weiß.«
»Verzeih mir...«
»Wofür soll ich dir verzeihen?«
»Ich kann nicht ohne dich leben, Gentle. Wir gehören zusammen, wie Ehemann und Ehefrau.«
Ihre Nähe nach so langer Zeit... Die Vorstellung einer Heirat 107
erschien ihm keineswegs grotesk. Warum sie nicht ganz für sich beanspruchen, für immer?
»Möchtest du meine Frau werden?« murmelte Gentle.
»Frag mich noch einmal, in einer anderen Nacht«, antwortete Judith.
»Ich frage dich jetzt.«
Der fedrige Finger kehrte zu jener herrlichen Stelle in Gentles Stirnmitte zurück. »Pscht«, flüsterte Jude. »Vielleicht denkst du morgen ganz anders darüber...«
Er wollte ihr widersprechen, doch der Gedanke verlor sich auf dem Weg vom Gehirn zur Zunge. Judith lenkte ihn ab, indem sie kreisförmige Bewegungen auf seiner Stirn vollführte.
Ruhe ging von jener Stelle aus, erfaßte den Torso, dehnte sich bis zu den Fingerspitzen und verbannte den restlichen Schmerz aus Gentles Knochen. Er hob die Hände über den Kopf, gab sich ganz der Wonne hin. Seligkeit durchströmte ihn, vertrieb alles Unangenehme, hüllte ihn in einen Kokon aus unsichtbarem Glanz.
»Ich möchte in dir sein«, sagte er.
»Wie weit?«
»Ganz.«
Er versuchte, die Dunkelheit zu teilen, um Judes Reaktion zu beobachten, aber sein Blick erwies sich als schlechter Forscher und kehrte ohne Ergebnisse von der Entdeckungsreise zurück.
Nur ein Flackern vom Fernsehschirm - seine Augen reflektierten das kurze Flimmern, warfen es in die leere Schwärze - schuf die Illusion, daß Judes Leib opalen schimmerte. Gentle begann damit, sich aufzusetzen, suchte nach dem Gesicht der Frau, doch es glitt fort von ihm. Kurz darauf spürte er ihre Lippen an seinem Penis. Sie nahm ihn nach und nach in den Mund, wobei sich ihre Zunge ständig bewegte. Schon nach kurzer Zeit glaubte Gentle, es nicht mehr aushalten zu können. Er warnte Judith mit einem leisen Stöhnen, und sie gab ihn frei - um ihn unmittelbar darauf 108
erneut zu verschlingen.
Das Fehlen von Licht stimulierte den Tastsinn und verlieh allen Berührungen besondere Intensität. Gentle spürte jede noch so geringfügige Bewegung der Zunge, jeden Zahn. Judes Hunger rückte seinen Schwanz ins Zentrum der Wahrnehmung, und das Ding schien zu wachsen, immer mehr anzuschwellen, bis Gentle vor dem inneren Auge folgendes Bild sah: Ein langer, von Adern durchzogener Torso mit blindem Kopf lag auf dem Bett seines Bauchs, feucht vom einen Ende bis zum anderen - er zitterte und bebte, während sie, die Dunkelheit, ihn vollständig verschluckte. Er war jetzt nur noch Fühlen, und
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