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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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können jetzt nur noch warten.«
    »Dann laß uns zusammen warten.«
    »Nein, es sollte auf ihn und mich beschränkt bleiben«, sagte Clem. »Wie dem auch sei - du hörst von mir.« Er sah zu Taylor hinüber, der erneut ins Leere starrte. »Er ist fest entschlossen, bis zum Frühling durchzuhalten. Noch ein Frühling, betont er immer wieder. Bisher waren ihm die verdammten Krokusse völlig gleichgültig.« Clem lächelte. »Die Sache hat nur einen positiven Aspekt - ich habe mich noch einmal in ihn verliebt.«
    »Das ist wundervoll.«
    »Und jetzt verliere ich ihn, obwohl ich mir gerade darüber klargeworden bin, wieviel er mir bedeutet. Hüte dich davor, den gleichen Fehler zu begehen.« Clem musterte Judith mit einem durchdringenden Blick. »Du weißt, wen ich meine.«
    Sie nickte.
    »Gut. Dann bring ihn jetzt nach Hause.«
    2
    Die Straßen waren wirklich leer, und schon nach fünfzehn 165

    Minuten erreichten sie das Atelier. Gentle schien nicht ganz bei sich zu sein. Unterwegs kam es in ihrem Gespräch immer wieder zu Lücken, und er gab unverständliche Kommentare von sich, schien in Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein. Es lag nicht am Alkohol. Judith kannte den betrunkenen Gentle: Er war ausgelassen, geil und manchmal auch nachdenklich. Doch jetzt saß ein ganz anderer Zacharias neben ihr. Er hatte den Kopf nach hinten geneigt und die Augen geschlossen, seine Worte kamen wie aus einer tiefen Grube. In der einen Sekunde dankte er Jude für ihre Hilfe, und in der nächsten wies er darauf hin, daß es sich bei der Farbe an seinen Händen keineswegs um Kot handelte. Nein, es sei keine Scheiße, sondern gebrannte Umbra, Berlinerblau und Kadmiumgelb. Aber wenn man Farben mischte - irgendwelche Farben -, so sah das Ergebnis letztendlich immer wie verdammte Kacke aus. Gentles Monolog wich allmählich Stille, doch kurze Zeit später schnitt er ein neues Thema an.
    »Ich ertrage seinen Anblick einfach nicht mehr...«
    »Wen meinst du?« fragte Judith.
    »Taylor. Ich ertrage es nicht, ihn so krank zu sehen. Du weißt ja, wie sehr ich Krankheiten hasse.«
    Das hatte sie ganz vergessen. Dieser Abscheu grenzte bei Gentle an Paranoia, vielleicht deshalb, weil er selbst nie krank wurde und kaum alterte, obwohl er wenig Rücksicht auf seinen Körper nahm. Judith befürchtete, daß es bei ihm irgendwann zu einem katastrophalen Kollaps kommen würde - dann mußte er von heute auf morgen den Preis für seine jahrelangen Exzesse bezahlen. Aber bis dahin wollte er nicht an die Vergänglichkeit des Fleisches erinnert werden.
    »Taylor stirbt, nicht wahr?« fragte er.
    »Clem meint, ihm bleibt nur noch wenig Zeit.«
    Gentle seufzte schwer. »Ich sollte ihn häufiger besuchen.
    Wir sind einmal gute Freunde gewesen.«
    »Es kursieren Gerüchte über euch zwei.«
    166

    »Er hat sie in Umlauf gebracht, nicht ich.«
    »Und es steckt nichts dahinter?«
    »Was glaubst du?«
    »Ich glaube, du hast alle möglichen sexuellen Erfahrungen mindestens einmal ausprobiert.«
    »Taylor ist nicht mein Typ«, sagte Gentle, ohne die Augen zu öffnen.
    »Du solltest mit ihm reden«, meinte Jude. »Und dich der Erkenntnis stellen, daß uns der Körper früher oder später im Stich läßt. Niemand ist dagegen gefeit.«
    »Mir passiert das nicht. Wenn's mit mir bergab geht, bringe ich mich um, das schwöre ich.« Gentle ballte die schmutzigen Hände zu Fäusten und hob sie zum Gesicht, strich sich mit den Fingerknöcheln über die Wangen. »Ich will nicht alt und schwach werden.«
    »Ich fürchte, deine Wünsche spielen dabei keine Rolle«, erwiderte Judith.
    Daraufhin schwiegen sie, und Jude lenkte den Wagen durch eine dunkle, schlafende Stadt. Die stumme Präsenz auf dem Beifahrersitz weckte Unbehagen in ihr. Sie dachte an Taylors Schilderungen und rechnete damit, daß Gentle in fremden Zungen zu reden begann. Einige Minuten später parkte Judith, und erst dann merkte sie, daß der Mann neben ihr schlief. Eine Zeitlang musterte sie ihn: eine glatte, gewölbte Stirn; weiche Lippen. Sie mochte Gentle noch immer, kein Zweifel. Aber was stellte eine neuerliche Beziehung in Aussicht? Nur Enttäuschung und Zorn. Trotz der ermutigenden Worte Clems hielt Jude die Sache für aussichtslos.
    Sie rüttelte Gentle behutsam an der Schulter und fragte, ob sie sein Bad benutzen könne, bevor sie aufbrach - die Bowle hatte ihre Blase gefüllt. Sein Zögern überraschte sie, und der weibliche Instinkt in ihr schöpfte Verdacht: Vielleicht hatte Zacharias

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