Imagica
dir was verraten?« Der Kranke beugte sich vor, und das Lächeln bekam etwas Schmerzvolles. Judith hielt das Leiden für die Ursache, bis sie Taylors Worte hörte: »Gleich bei unserer ersten Begegnung habe ich mich in Gentle verliebt.
Mir war jedes Mittel recht, um ihn ins Bett zu locken. Alkohol.
Drogen. Nichts klappte. Aber ich hoffte auch weiterhin, und vor etwa sechs Jahren...«
Clem näherte sich, reichte Taylor und Jude die Gläser. Dann eilte er wieder fort, um neue Gäste zu begrüßen.
»Du hast mit Gentle geschlafen?« fragte Judith.
»Nicht in dem Sinne. Es gelang mir schließlich, ihm einen zu blasen. Er war high, vollkommen weggetreten. Lächelte sein Lächeln. Himmel, ich hab's bewundert...« Taylor verfiel immer in denselben lüstern klingenden Tonfall, wenn er von seinen Eroberungen berichtete, und das war auch diesmal der Fall.
»Nun, ich versuchte, ihn richtig schön steif werden zu lassen, und plötzlich begann der Kerl damit... Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll... Er begann damit, in fremden Zungen zu reden. Da lag er auf meinem Bett, die Hose bis zu den 160
Füßen runter, und plötzlich hörte ich Worte in einer fremden Sprache. Ich verstand kein einziges. Es war weder Spanisch noch Französisch. Ein völlig unverständliches Kauderwelsch.
Und weißt du was, Judy? Mir hing er plötzlich runter, und Gentle hatte einen hoch.« Taylor lachte schallend, doch schon nach wenigen Sekunden wurde er ernst. »So etwas wie Angst regte sich in mir. Ja, ich fürchtete mich vor ihm und konnte nicht beenden, was ich begonnen hatte. Ich stand auf und ließ ihn allein - er redete noch immer in fremden Zungen, sein Schwanz steinhart.« Er nahm Judiths Glas und trank einen großen Schluck. Die Erinnerungen hatten ihn ganz offensichtlich erschüttert. Kleine rote Flecken bildeten sich an seinem Hals, und die Augen glänzten.
»Hast du jemals so etwas mit ihm erlebt?« Als Jude den Kopf schüttelte, fuhr Taylor fort: »Ich frage deshalb, weil du ihn ziemlich überstürzt verlassen hast. Er hat dich also nicht mit irgend etwas erschreckt, oder?«
»Nein. Er hatte nur zuviel Interesse an anderen Frauen.«
Taylor brummte unverbindlich. »Nachts bricht mir jetzt oft der Schweiß aus. Manchmal muß ich um drei Uhr aufstehen und Clem bitten, die Laken zu wechseln. Oft weiß ich nicht einmal, ob ich wach bin oder schlafe. Erinnerungen kehren zurück, und ich denke an längst vergessen geglaubte Dinge, unter ihnen die Sache mit Gentle. Ich höre ihn, wenn ich schweißüberströmt im Schlafzimmer stehe. Ich höre, wie er in fremden Zungen redet, als sei er besessen.«
»Beunruhigt dich das?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Taylor. »Inzwischen hat sich die Bedeutung der Erinnerungen für mich verändert. Ich träume von meiner Mutter und verspüre dabei den Wunsch, in ihren Schoß zurückzukriechen, noch einmal geboren zu werden. Ich träume von Gentle und frage mich, warum ich dem Rätselhaften auswich. Nun, jetzt ist es zu spät. Verliebt sein, in fremden Zungen reden - ich verstehe den Grund weder für das 161
eine noch für das andere.« Er schüttelte den Kopf und kämpfte gegen Tränen an. »Entschuldigung«, seufzte er. »Zu Weihnachten werde ich immer rührselig. Bitte gib Clem Bescheid.
Ich muß ins Bad.«
»Kann ich dir helfen?«
»Für gewisse Dinge brauche ich Clem. Trotzdem vielen Dank.«
»Keine Ursache.«
»Auch für deine Geduld beim Zuhören.«
Judith wanderte durch den großen Raum, fand Clem und wies ihn diskret darauf hin, daß Taylor seine Hilfe benötigte.
»Du kennst doch Simone, oder?« Mit diesen Worten ging Clem und überließ Jude einer jungen Frau.
Sie kannte Simone tatsächlich, wenn auch nicht besonders gut, und nach dem Gespräch mit Taylor fiel ihr oberflächliche Konversation alles andere als leicht. Darüber hinaus offenbarte Simone bei ihren Reaktionen fast so etwas wie Koketterie: Sie lachte zu laut, selbst bei den geringsten Anlässen, hob immer wieder die Hand zum Hals und schien dabei auf jene Stellen zu zeigen, an denen sie geküßt werden wollte. Judith überlegte bereits, wie sie Simone loswerden konnte, als die Frau vor ihr besonders übertrieben lachte und dabei zu jemand in der Menge hinübersah. Sie kam sich wie eine Komparsin bei Simones Auftritt vor und fragte:
»Wer ist er?«
»Wen meinen Sie?« erwiderte die junge Dame und errötete.
»Oh, tut mir leid. Ich weiß nicht, wie er heißt. Er beobachtet mich schon seit einer ganzen
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