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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Weile.«
    Als Judiths Blick zu dem Bewunderer glitt, reifte plötzlich die Überzeugung in ihr, daß es sich um Gentle handelte. Er war hier, benutzte wieder seine alten Tricks und verführte allein mit Blicken, dazu bereit, später die Hübscheste abzuschleppen.
    »Gehen Sie und sprechen Sie mit ihm«, sagte Jude.
    »Oh, ich weiß nicht. Vielleicht später.« Damit wandte sich 162

    Simone ab und trug ihr Lachen zu anderen Gästen.
    Zwei volle Sekunden lang rang Judith mit der Versuchung, ihr zu folgen, doch dann drehte sie den Kopf. Jener Mann, der Simone beobachtet hatte, stand neben dem Weihnachtsbaum und lächelte erfreut, als die junge Frau an ihm vorbeikam. Es war nicht Gentle, aber er wirkte vertraut, und Jude glaubte, sich an ihn zu erinnern: ein Bruder Taylors. Seltsame Erleichterung erfaßte sie, begleitet von Ärger - warum sollte ich überhaupt erleichtert sein? Sie verließ das Zimmer, wanderte durch den Flur. In einer nahen Nische saß ein Cellist und spielte In the Bleak Midwinter; die Melodie klang sehr melancholisch. Judith trat zum offenen Eingang, und kühle Luft wehte ihr entgegen, verursachte eine Gänsehaut. Als sie die Tür schließen wollte, flüsterte ihr jemand zu:
    »Dort draußen hat sich jemand übergeben.«
    Sie blickte zur Straße. Es saß tatsächlich jemand am Rand des Bürgersteigs und nahm eine vom Bauch diktierte Haltung ein: der Kopf gesenkt, die Ellbogen auf den Knien, in Erwartung des nächsten Krampfs, der den Mageninhalt nach oben preßte. Vielleicht verursachte Jude ein Geräusch - oder der Mann fühlte ihren Blick. Er sah auf und drehte sich halb um.
    »Gentle... Was machst du hier?«
    »Was glaubst du wohl?« Bei ihrer letzten Begegnung hatte er nicht sehr gut ausgesehen, doch jetzt stand es weitaus schlimmer um ihn: das Gesicht eingefallen, unrasiert und aschfahl.
    »Es gibt ein Bad im Haus.«
    »Und dort steht auch ein Rollstuhl«, sagte Gentle. In seinen Worten vibrierte eine fast abergläubische Furcht. »Ich ziehe es vor mich hier zu übergeben.«
    Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund ab. Farbe klebte an den Fingern, und nicht nur daran: auch an der Hose und dem Hemd.
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    »Du bist fleißig gewesen?«
    Er verstand sie falsch. »Ich hätte nichts trinken sollen«, erwiderte er.
    »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
    »Nein, danke. Ich gehe nach Hause. Bitte richte Taylor und Clem einen Gruß von mir aus. Ich bringe es nicht fertig, die Party noch einmal aufzusuchen. Dort würde ich mich bestimmt blamieren.« Er stand auf und taumelte. »Offenbar treffen wir uns selten unter sehr angenehmen Umständen, oder?« brachte er hervor.
    »Ich fahre dich besser nach Hause. In deinem derzeitigen Zustand könntest du dich selbst oder jemand anders umbringen.«
    »Schon gut.« Gentle hob die mit Farbe bedeckten Hände.
    »Um diese Zeit herrscht praktisch kein Verkehr. Sei unbesorgt.« Er griff in die Tasche und suchte nach dem Autoschlüssel.
    »Du hast mir das Leben gerettet. Gib mir die Möglichkeit, mich dafür zu revanchieren.«
    Er zögerte, und seine Lider sanken nach unten. Es schien ihm recht schwerzufallen, die Augen offenzuhalten. »Vielleicht ist das keine so schlechte Idee.«
    Judith kehrte ins Haus zurück, um sich zu verabschieden und Gentle zu entschuldigen. Taylor saß wieder in dem üppig gepolsterten Sessel, und Jude sah ihn, bevor er sie bemerkte: Mit glasigen Augen starrte er ins Leere. Sie erkannte keinen Kummer in seinen Zügen, nur tiefe Erschöpfung, die alle Gefühle aus ihm verbannt hatte, abgesehen vielleicht von Bedauern im Hinblick auf ungelöste Rätsel. Sie ging zu ihm und erklärte mit knappen Worten, in welchem Zustand sich Gentle befand. »Ich fahre ihn jetzt nach Hause«, fügte sie hinzu.
    »Kommt er nicht, um von mir Abschied zu nehmen?« fragte Taylor.
    164

    »Er hat Angst, auf den Teppich zu kotzen. Oder auf dich.
    Oder sowohl als auch.«
    »Bitte ihn, mich anzurufen. Sag ihm, daß ich auf ihn warte.«
    Taylor nahm Judiths Hand und hielt sie erstaunlich fest. »Sag es ihm, bitte.«
    »Du kannst dich darauf verlassen.«
    »Ich möchte noch einmal sein Lächeln sehen.«
    »Dazu wirst du noch häufig Gelegenheit erhalten«, sagte Jude.
    Er schüttelte den Kopf. »Einmal muß genügen«, entgegnete er leise.
    Sie gab ihm einen Kuß und versprach, von zu Hause aus anzurufen. Auf dem Weg zur Tür begegnete sie Clem, und das Abschiedsritual wiederholte sich.
    »Falls ihr Hilfe braucht...«, begann Judith.
    »Danke. Ich schätze, wir

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