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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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anderthalb Meter langen, krabbenartigen Körper mit drei gelenkigen Beinpaaren dar. In der Mitte des Rückens entfalteten sich riesige Flossen oder membranartige Flügel, die aussahen wie die Schwingen einer Fledermaus, und anstelle eines Kopfes wuchs ein dickes, spiralartig zusammengerolltes Gebilde aus dem Körper, das von zahllosen Fühlern oder kurzen Tentakeln bedeckt war.
    Es war eine der geflügelten Traumkreaturen, die sich im Schatten der Felstempel verborgen gehalten hatten; jener Geschöpfe, die hinter den Reihen standen.

 
15
     
     
    Die Tage wurden unmerklich kürzer. Jeden Morgen, wenn ich das Zelt verließ, glaubte ich, den Himmel grauer und trostloser vorzufinden, und immer öfter verwandelte sich der Nieselregen in dichten Schneefall. Manchmal peitschten tagelang Stürme durchs Tal, Vorboten des nahenden Winters, die mit Urgewalt an den Zeltwänden zerrten und die Landschaft unter Schnee begruben. Irgendwann würde die Sonne hinter dem Horizont verschwinden und für lange Zeit nicht mehr aufgehen. Mit Grausen stellte ich mir vor, in einem Zelt der monatelangen Finsternis und Kälte des arktischen Winters trotzen zu müssen. Nauna mochte dafür konstituiert sein, aber keinesfalls ich selbst. Mir war inzwischen ein Vollbart gewachsen, an den sich Nauna nur schwerlich gewöhnen konnte. Ab und zu strich sie über meine Haut, studierte prüfend meine Brustbehaarung, als befürchte sie, der für sie unnatürliche Haarwuchs könne auch meinen restlichen Körper befallen. Es war für sie nicht ganz nachvollziehbar, weshalb ein Teil meines Gesichts langsam unter einem dichten blonden Fell verschwand. Mein persönliches Problem dabei war das Auftragen der Iqa- Paste. Ließ ich den Bart frei, krochen mir die lästigen Viecher bis zu den Haarwurzeln. Schmierte ich ihn mit ein, sah ich aus wie ein homo erectus nach einem Schlammbad. Halbherzige Versuche, das Barthaar mit Naunas Knochenmesser zu stutzen oder es mit Hilfe glühender Äste wegzusengen, gab ich nach diversen kleineren Unfällen recht schnell wieder auf. Letztlich fanden wir uns beide damit ab.
    Mit der Zeit gewöhnte ich mich sogar an die eisige Dusche unter dem Wasserfall. Oft duschten wir zu zweit, und manchmal, wenn die Sonne die Schlucht erwärmte, liebten wir uns danach auf den moosgepolsterten Felsen. Ich hatte mir in den vergangenen Wochen sehr oft Gedanken darüber gemacht, warum Nauna mich so bereitwillig bei sich aufgenommen hatte. Vielleicht war es der Wunsch nach Zweisamkeit gewesen, der sie dazu bewogen hatte. Oder auch nur eine Form respektvoller Gastfreundschaft gegenüber einem Gesandten der Aqunaki, für den sie mich nach wie vor zu halten schien.
    Ich fragte mich unablässig nach dem Grund meines Hierseins, versuchte einen tieferen Sinn in meinem Schicksal zu finden; in der Tatsache, dass es mich ausgerechnet in diese Zeit und an diesen Ort verschlagen hatte. Dass ich aus einer willkürlichen Laune heraus in die Vergangenheit geschleudert worden war, wollte ich nicht akzeptieren. Was immer es gewesen war, das mich in der Kaverne gepackt und in die Finsternis gerissen hatte, konnte dies nicht ohne Absicht getan haben. War meine heraufbeschworene Begegnung mit Sedmeluq der Auslöser dafür gewesen? Hatte ich zuviel über die Geheimnisse des Kraters, des Taaloq und der Tempelruine erfahren? War ich einfach nur aus dem Weg geräumt worden? Und wie erging es DeFries und seinen Leuten derweil auf der anderen Seite der Zeit?
    Der riesige schwarze Wurm, der bei meinem ersten Erwachen wie ein Wächter auf der Klippe gethront hatte, wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Wie gegenwärtig war der Taaloq in dieser Welt? Wie viel Wahrheit steckte in diesem Mythos? Und welche Rolle spielte ich in diesem archaischen Spiel?
    Sobald ich Nauna auf die Tempel und die Aqunaki ansprach, wich sie schüchtern aus und hüllte sich stundenlang in Schweigen. Die heftigste Reaktion löste ich aus, als ich ihr von meinem Abstieg aus dem Gebirge erzählte und beiläufig – aber keinesfalls unabsichtlich – erwähnte, dass in den Bergen weitaus beunruhigendere Kreaturen beheimatet seien als die Aqunaki – nachtschwarze Würmer etwa, die auf schroffen Felsklippen tanzten und jegliches Licht verschluckten.
    Nauna bekam dabei riesengroße Augen. Sie starrte mich entsetzt an, und ihr Blick fragte: Woher weißt du davon? Ihre Augen wiederholten die Frage mit jedem Blinzeln, und ich merkte, dass sie zu zittern begonnen hatte. Nachdem ich eine Weile verlegen zu

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