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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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glühte ihr Körper bereits vor Fieber, begleitet von Schüttelfrost, Husten und Kopfschmerzen. Ihre Stimme verwandelte sich in ein dunkles Krächzen, das Schlucken fiel ihr schwer, und bald bereitete ihr selbst das Sprechen Schmerzen. Als sie einen Tag später, nach einer nahezu schlaflosen Nacht, über heftige Ohrenschmerzen klagte und das Fieber weiter gestiegen war, war mir bewusst: Nauna hatte eine Virusgrippe.
    Die Krankheit mit ihren heftigen, für sie unbekannten Symptomen ängstigte sie, doch realer waren die Sorgen, die mich angesichts ihres Zustands heimsuchten: Naunas Körper besaß kaum Abwehrkräfte, um sich gegen eine Krankheit der Neuzeit zu wehren.
    Woher willst du wissen, dass ausgerechnet du sie angesteckt hast, Akademiker?, hinterfragte die innere Stimme. Vielleicht war es ja eine Stechmücke oder ein anderes Tier. Vielleicht ist es gar keine Virusgrippe.
    Die Kolonialgeschichte hatte eine unvergessliche Narbe am Volk der Inuit hinterlassen: Bereits wenige Monate, nachdem einst die ersten Walfänger auf Grönland gelandet waren, waren Tausende von Eskimos an für Europäer harmlosem Schnupfen gestorben, und nachdem sich die Weißen an der Küste angesiedelt hatten, hatten die Pocken das Vernichtungswerk weitergeführt. Mitte des 18. Jahrhunderts waren in einem einzigen Jahr über dreitausend Inuit gestorben, nachdem ein Eskimo-Knabe, den die Dänen zuvor nach Kopenhagen mitgenommen hatten, infiziert nach Grönland zurückgekehrt war. Für ein Paläo-Eskimomädchen besaß eine Virus-Grippe dasselbe Vernichtungspotential wie das Ebola-Fieber für einen Menschen des 21. Jahrhunderts.
    Ich versuchte, Naunas Fieber mit altbewährten Hausmitteln zu lindern, doch als sie gegen Abend des zweiten Tages bereits so schwach war, dass sie kaum noch feste Nahrung zu sich nehmen konnte, mischte sich in ihre Angst eine Spur von Verzweiflung. Allerdings war es nicht nur die Grippe, die ihr die Hoffnung raubte, sondern auch die bevorstehende Vollmondnacht. Mühsam erklärte Nauna, man erwarte sie in paapeqta, um das kaitea zu vollziehen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie damit meinte, und Nauna war viel zu erschöpft, um es mir zu erklären. Die Befürchtung, das kaitea nicht verrichten zu können, ließ sie sichtlich verzweifeln. Was auch immer sie in den Vollmondnächten unternahm, es musste sehr tief in ihrem Glauben und ihrer Tradition verwurzelt sein. Nauna flehte mich an, ihr ihre Kraft zurückzugeben und sie gesund zu machen. Sie konnte nicht verstehen, warum ich sie angesichts des bevorstehenden kaitea als Gesandter der Aqunaki tatenlos leiden ließ. Ich erklärte ihr, dass ich nicht die Macht besäße, sie zu heilen, und versuchte sie davon zu überzeugen, dass ich ein Mensch sei wie sie auch, doch sie wollte mir nicht glauben. Niemand, der die Begegnung mit einer Larve Sedmeluqs überlebt habe, könne ein Mensch sein, argumentierte sie.
    Als Nauna schließlich einsah, dass sie der Krankheit hilflos ausgeliefert war und ich sie auch nicht durch Zauberkräfte heilen konnte, bat sie mich betrübt, das Zelt zu verlassen. So schwach sie auch war, schien das drohende Unheil und ihre Angst davor, die kommende Nacht tatenlos verstreichen zu lassen, ihre letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Vor dem geschlossenen Eingang sitzend, hörte ich sie durchs Zelt kriechen, und meine Besorgnis wuchs mit jedem gequälten Stöhnen, das zu mir herausdrang. Hin und her gerissen zwischen der Sorge um Nauna und meinem Respekt vor ihrem Glauben siegte in mir – wider alle Vernunft – die Rücksicht. Irgendwann vernahm ich ihre flüsternd-krächzende Stimme und wusste, dass sie nun vor ihrem Felsaltar kauerte und betete. Allerdings klangen ihre Worte diesmal inniger und beschwörender, waren mehr Flehen um Hilfe denn Huldigung. Auch diesmal wiederholte Nauna nach jeder Strophe ein bestimmtes Wort; einen Namen, dessen Betonung nicht nur Schuldgefühle, sondern auch steigendes Unbehagen in mir auslöste.
    Nauna betete zu Sedmeluq!
    Erst nachdem aus dem Zelt eine Weile lang nichts mehr zu hören war, spähte ich hinein und entdeckte Nauna zusammengesunken vor ihrem Steinaltar. Ihr Körper glühte vom Fieber, ihr Atem war heiß und ihr Puls ging unregelmäßig und war kaum noch wahrzunehmen. Als ich sie vorsichtig auf ihr Schlaflager hob, starrte sie mich mit leerem Blick an, fast so, als habe sie soeben ihr eigenes Todesurteil gefällt.
    Ich deckte Nauna mit meinen Anorak zu, in der Hoffnung, sie würde

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