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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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das Fieber unter der Winterjacke schneller herausschwitzen. Als ich jedoch bemerkte, dass sie kaum schwitzte, sondern ihre Haut größtenteils heiß und trocken blieb, ergriff mich Panik. Irgendwann fiel mir nichts Besseres mehr ein, als Nauna hinauf in die Schlucht zu tragen, nackt auszuziehen und unter den eiskalten Wasserfall zu stellen. Besser gesagt: zu zwingen, denn sie war alles andere als willig dazu. Aber sie war auch viel zu geschwächt, um sich erfolgreich zu wehren. Ich konnte mir leibhaftig vorstellen, wie sie sich in diesem Augenblick fühlen musste, aber selbst wenn sie mich dafür hassen sollte, das Fieber musste gelindert werden. Ich hielt sie unter dem Wasserfall fest, bis ihre Lippen vor Kälte blau geworden waren und ich sicher sein konnte, dass ihre Körpertemperatur gefallen war.
    Doch es gab leider noch die anderen Symptome; den Schnupfen und die Bronchitis. Bestimmt hatte das Eiswasser Naunas Fieber gesenkt, aber womöglich hatte es in gleicher Weise ihre Erkältung verstärkt. Als sie am Abend immer schlechter Luft bekam und lange Hustenanfälle ihr zusätzlich den Atem raubten, kam der Augenblick, in dem ich mir niemand sehnlicher an meine Seite wünschte als Rijnhard mit einem Erste-Hilfe-Koffer …
    Sie wird die Nacht nicht überleben, prophezeite die Stimme. Du weißt, dass ihr Immunsystem auf eine Grippe nicht vorbereitet ist. Ihr Kreislauf wird zusammenbrechen. Eine Kaskade, Akademiker, wie damals in Kaliningrad. Und du bist dafür verantwortlich. Du und deine niederen Instinkte. Jetzt hast du sie zum zweiten Mal umgebracht!
    Aber wieso hatte ich Nauna dann in meiner Zeit getroffen? Wieso war sie viel älter gewesen als diese -
    … todkranke …
    Frau vor mir?
    Sie hat überlebt, durchfuhr es mich. Egal was passiert, sie wird überleben, um in meiner Zeit …
    … zu sterben.
    Ich beugte mich über Nauna, die in einen unruhigen Schlaf gesunken war, verbarg mein Gesicht an ihrer Schulter und weinte.
    Gottverdammte Stimme.
    Gottverdammter Narr.
    Fahr zur Hölle!
    Dort bin ich …
     
    Ich weiß nicht, was in dieser Nacht wirklich geschah. Ob ich dieses Geräusch tatsächlich gehört hatte und dieser Schatten Wirklichkeit gewesen war – oder ob alles wiederum nur Fragmente eines Traums gewesen waren. Einerseits bereue ich, dass ich mich nicht gegen den Schlaf hatte wehren können. Andererseits versuche ich mir einzureden, dass es nicht meine Schuld gewesen war. Dass ich über vierzig Stunden wach gewesen war, um Nauna zu pflegen, und mein Körper irgendwann sein Recht gefordert hatte. Vielleicht hatte ich auch gar keine Chance gehabt, mich gegen den Schlaf zu wehren. Womöglich hatte die Stimme mich ja gezwungen, zu schlafen …
    Als ich jedenfalls irgendwann in der Nacht die Augen wieder aufschlug, war das Lager, auf dem Nauna gelegen hatte, leer. Im ersten Moment hoffte ich mir ihr Fehlen nur einzubilden, sie unter dem Berg aus Fellen, die ich über ihr ausgebreitet hatte, lediglich nicht erkennen zu können. Es schien mir unrealistisch, dass Nauna in ihrem Zustand überhaupt in der Lage gewesen sein sollte, sich selbstständig aufzurichten. Doch je länger ich reglos da lag, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass Nauna sich tatsächlich nicht mehr neben mir befand. Ich lauschte nach ihrem Atem, doch im Zelt war es totenstill.
    Die plötzliche Erkenntnis versetzte mir einen furchtbaren Schrecken. War Nauna …?
    Schlaftrunken setzte ich mich auf. Das Feuer war niedergebrannt, und im Zelt herrschte vollkommene Finsternis. War die Frau womöglich ein paar Meter von mir fortgekrochen? Ein Schwindel überkam mich bei der Vorstellung, in der Dunkelheit auf ihren Leichnam zu stoßen. Naunas Namen flüsternd, bewegte ich mich auf allen Vieren über den Boden und hoffte, ihren Körper zu ertasten. Als ich sie nirgends fand, entfachte ich die Glut neu, um etwas erkennen zu können.
    Ein rascher Rundblick verschaffte mir Gewissheit: Das Zelt war leer.
    Sie konnte nicht weit gekommen sein, durchfuhr es mich, krank und geschwächt wie sie war. Aber selbst falls sie sich – aus welchem Grund auch immer – nur einhundert Meter entfernt hätte, käme es bei Nacht und der herrschenden Kälte einem Wunder gleich, sie rechtzeitig zu finden. Groteskerweise dachte ich in diesem Augenblick an den Knochengraben …
    Hektisch sammelte ich brennbares Material zusammen, um das Feuer zu schüren. Dann entzündete ich eine der Tranlampen, um bei der Suche nach Nauna eine Lichtquelle zu besitzen. Als ich

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