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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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offenbar bemerkt hatte, dass mich etwas beunruhigte, tauchte mit fragendem Gesichtsausdruck neben mir auf. Als ich sie auf die Klauenabdrücke aufmerksam machte, reagierte sie weit weniger überrascht, als ich erwartet hatte. Nachdenklich ging sie in die Hocke und befühlte die Spur mit den Fingerspitzen.
    »Aqunaki tumi«, kommentierte sie verhalten. Dabei spreizte sie Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger ihrer linken Hand und drückte sie ein paar Mal demonstrativ in den Boden.
    Ich betrachtete erst sie, dann die Abdrücke. Wusste Nauna etwa, was für Kreaturen diese Spuren hinterließen? War sie ihnen womöglich schon einmal begegnet? Abermals blickte ich mich suchend um, und mich befiel wieder dieses beklemmende Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.
    »Kima naq«, bemerkte Nauna kopfschüttelnd und erhob sich wieder. Sie deutete auf die Sonne und beschrieb mit der Hand einen Bogen hinunter zum Horizont. »Sa e unnuaq.« Als sie erkannte, dass ich sie nicht verstand, kam sie heran und bedeckte mit ihren Händen meine Augen. »Unnuaq«, erklärte sie dabei. »Unnuaq.«
    Dunkelheit …
    Ich glaubte zu begreifen, was Nauna mir sagen wollte. Wer oder was auch immer die Aqunaki waren, es schienen nachtaktive Geschöpfe zu sein, die erst mit Hereinbrechen der Dunkelheit auftauchten. Nicht gerade eine beruhigende Neuigkeit angesichts der Tatsache, dass wir die Nacht im Freien verbringen mussten …
     
    In dieser Nacht beging ich einen verhängnisvollen Fehler. Eigentlich war es nicht wirklich mein Fehler gewesen, denn mein Verhalten Nauna gegenüber war frei von bösen Absichten. Es war vielmehr ein Missverständnis – aber zugleich auch der Beginn einer Kette von Ereignissen, deren Ende ich zu diesem Zeitpunkt nicht absehen konnte. Ich wusste viel zu wenig über Naunas Vergangenheit und ihre Sitten und Gebräuche.
    Als die Dämmerung hereinbrach, führte mich Nauna zu einer schmalen Felskluft, die sie schon früher als Nachtquartier benutzt haben musste. Nach etwa zwanzig Schritten gelangten wir in eine Art kleinen Innenhof, in dem eine Feuerstelle, halbverdorrte Grasmatten und ein paar zusammengeschnürte Felle auf uns warteten. Nachdem es dunkel geworden war und wir ein mageres Abendessen zu uns genommen hatten, suchte sich Nauna eine windgeschützte Nische aus und rollte sich dort wie ein Fötus zusammen. Ich konnte ihre Fähigkeit, sich bei Anbruch der Nacht zur Ruhe zu legen, nur neidisch bestaunen.
    Während mir ihre tiefen, gleichmäßigen Atemzüge deutlich machten, dass Nauna schlief, lag ich noch stundenlang frierend und jedem verdächtigen Geräusch nachlauschend neben dem mittlerweile nur noch schwach züngelnden Feuer und blickte durch den schmalen Felsspalt hinauf in den Sternenhimmel. Irgendwann riss mich Naunas leises Stöhnen aus meinem Dämmerzustand. Ich sah zu ihr herüber, konnte jedoch außer ihrem sich im Schlaf unruhig bewegenden Schatten kaum etwas erkennen. Ihr gequältes Jammern wiederholte sich, wobei sie ständig ein Wort hervorpresste: Kono! Kono! – Nein! Nein!
    Sie hatte ihre Knie angezogen und beide Hände vor ihrem Schritt zu Fäusten geballt, als wolle sie sich im Traum vor etwas schützen, das ich mir nur ungern vorstellen mochte. Irgendwann entspannte sie sich wieder, atmete ruhiger und drehte mir den Rücken zu, wobei sie wieder ihre Fötushaltung einnahm. Im ersten Augenblick sah es aus, als schlafe sie ruhig, doch ich erkannte, dass sie hin und wieder zusammenzuckte oder sich für wenige Sekunden verkrampfte.
    Es sah aus, als ob sie fror. Daher fasste ich mir nach einer Weile ein Herz, kroch zu ihr hinüber und legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern.
    Es war wohl der falsche Augenblick für Wärme und Trost.
    Nauna fuhr mit einem Aufschrei herum, setzte sich blitzschnell auf, stieß mir ihre Füße in den Bauch und katapultierte mich von sich fort. Während ich nach Luft rang und mir den schmerzenden Leib hielt, kroch Nauna von mir weg, bis sie mit dem Rücken gegen die Felswand stieß. Dabei hielt sie mit beiden Händen schützend ihr gezücktes Knochenmesser vor sich.
    »Akkao!«, schrie sie angsterstickt. »Akkai! Akkai …!« Ihr Atem ging keuchend, während ihre Füße über den Boden scharrten, als wolle sie durch die Felswand in ihrem Rücken noch weiter vor mir davon kriechen. Was auch immer sie in diesem Augenblick zu sehen glaubte, ich war es sicherlich nicht.
    »Nauna, ich bin es, Poul.« Es sollte beruhigend klingen, doch meine halb erstickte

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