Imagon
sie und presste sie an mich. Leidenschaftlich hätte es sein sollen, unbeherrscht war es.
Die folgenden Stunden, in denen wir uns unseren Gefühlen hingaben, uns streichelten und aneinander rieben und zwischendurch wieder entspannten, kamen mir wie Minuten vor. Arktische Kälte und Zeitparadoxa, Aqunaki und Zivilisationskrankheiten – all das war uns in dieser Nacht egal. Vielleicht tat ich ihr weh, als ich in sie eindrang. Vielleicht verlangte Nauna sogar danach, denn sie schlang ihre Arme noch enger um mich, als ich mich heftig in ihr bewegte. Ihre Haut roch nach Fell, Schweiß und Rauch, und die Worte, die sie hauchte und flüsterte, während wir uns liebten, klangen erneut wie ein ehrfürchtiges Gebet.
Der Hunger zwang uns irgendwann zum Aufstehen. Zuerst aßen wir gierig ein paar Brocken Fisch und Brot, da wir nicht vorhatten, uns allzu lange unterbrechen zu lassen. Aber dann schlich sich eine eigenartige Stimmung ins Zelt, eine Mischung aus Verlegenheit, Glück und dem Bewusstsein darüber, was soeben zwischen uns passiert war. Das Resultat war, dass jeder von uns versonnen ins Feuer starrte und es vermied, den Blick des anderen zu kreuzen.
Um diesen Bann zu durchbrechen, strich ich im Schein der wieder entfachten Lampen den aschevermengten Staub zu meinen Füßen mit der Hand glatt. Nauna saß gespannt neben mir und beobachtete aufmerksam, wie ich mit dem Finger meinen Namen in den Boden schrieb.
»Poul«, erklärte ich, deutete auf jedes einzelne Zeichen und buchstabierte: »Pe – o – u – el.«
Gewiss war es Naunas erste Konfrontation mit Schrift. »Pool«, wiederholte sie wie gewohnt. Dann malte sie mit dem Finger ein Strichmännchen ohne Hände und Füße daneben. »Pool!« Sie lächelte stolz.
Nun ja …
Nachdem ich ihren Namen in den Staub geschrieben und laut ausgesprochen hatte, beäugte sie den Schriftzug kritisch. »Nauna?«, fragte sie zweifelnd und zeigte auf sich. »Hetaq Nauna ke?« Sie schüttelte den Kopf und zeichnete ein zweites Strichmännchen mit zwei Brüsten. »Nauna!«
Ich betrachtete die Brüste, die jeweils so groß waren wie der Kopf der Figur, und nickte einsichtig. Gut, es war deutlich genug. Nauna besaß die natürliche Angewohnheit, alle Begriffe als Bilder wiederzugeben. Beim Anblick der Zeichnungen kam mir plötzlich ein neuer Gedanke. Anscheinend fühlte Nauna meine daraus resultierende Anspannung, denn sie rutschte ein Stück von mir fort und sah mich aus leicht zusammengekniffenen Augen an. Ich lächelte aufmunternd, wischte das Gezeichnete und Geschriebene kommentarlos wieder aus und ersetzte es durch ein neues Wort.
Nauna betrachtete das Wort, dann mich. Ich sah sie eine Weile unschlüssig an und sagte: »Aqunaki.«
Nauna zeigte im ersten Moment keine Reaktion, sah dann noch einmal auf das Geschriebene und wandte den Blick schließlich vom Boden ab. Ihre Reaktion bestärkte mich in meiner Vermutung, dass sie wusste, wie ein Aqunaki aussah, und diese Erkenntnis ließ mich frösteln. Dass sie ein solches Wesen wirklichkeitsnah darzustellen vermochte, bezweifelte ich angesichts ihrer vorangegangenen Zeichnungen. Aber selbst wenn …
Gib dir einen Ruck!, schrie ich ihr stumm zu. Dir passiert nichts. Niemand sieht es.
Dann fiel mir auf, dass sie es längst tat. Dass das, was ich fälschlicherweise für ein verlegenes Kratzen im Staub gehalten hatte, sinnvolle Linien waren, die langsam eine Gestalt zu bilden begannen. Ich starrte auf die Zeichnung, die vor Naunas Knien entstand und deutlich komplexer war als ihre Strichmännchen. Irgendwann hob Nauna ihre zitternde Hand, starrte eine Weile schweigend auf das, was vor ihr im Staub zu sehen war. Dann warf sie mir einen scheuen Blick zu, stand auf und lief aus dem Zelt.
Ich kroch dorthin, wo Nauna gesessen hatte, nur um sicher zu gehen, dass ich das seltsame Liniengebilde nicht auf dem Kopf stehend betrachtete. Was ich sah, löste ein mehr als unangenehmes Gefühl in mir aus. Natürlich war die Zeichnung primitiv und reduziert. Die Zeichnung eines Steinzeitmädchens. Kein Strichmännchen diesmal, sondern ein Strich wesen. Aber ebenso wie ich beim Betrachten von Ersterem wusste, wie der dargestellte Mensch in Wirklichkeit aussah, wusste ich es auch beim Betrachten dieser Zeichnung. Ich hatte ein solches Wesen schon einmal gesehen; in meinen Träumen …
Was Nauna gezeichnet hatte, ähnelte einer riesigen geflügelten Spinne oder einem Käfer mit ausgebreiteten Flügeln. In Wirklichkeit stellte es einen etwa
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