Imagon
Stimme schien sie nur darin zu bestärken, dass jemand in ihrer Nähe war, der besser nicht hier sein durfte. Alles, was sie von mir sah, war vermutlich ein sich träge bewegender Schatten. »Ich wollte dich nur wärmen«, beteuerte ich, kroch aber gleichzeitig in Richtung Ausgang. Was für eine hirnverbrannte Idee. Nauna war hier aufgewachsen, ein Kind dieser Welt. Für sie war diese Scheißkälte wahrscheinlich kaum quälender als für unsereins eine laue Herbstnacht. »Ganz ruhig …« Meine Stimme zitterte, während ich die Taschen meines Anoraks abtastete. »Ich tue dir doch nichts.« Herrgott, wo war denn das verdammte Feuerzeug?
Nachdem ich es endlich aus meiner Jackentasche genestelt hatte, wollte es partout nicht anspringen. Als die Flamme endlich aufleuchtete, war ich für Sekunden von ihr geblendet und wusste nicht mehr genau, wo Nauna kauerte. Daher sprach ich weiter beruhigend auf sie ein, in der Hoffnung, dass plötzlich über dem Boden erschienene Licht möge sie nicht vollends in Panik versetzen.
»Pool?«, drang ihre Stimme zweifelnd zu mir herüber.
»Ja.« Ich hielt das Feuerzeug vor mein Gesicht und kroch langsam näher. »Ich bin es, siehst du? Bloß ich …«
Sie starrte in mein Gesicht, als könnte ich mich jeden Moment in etwas anderes verwandeln. Ihre Augen mit den riesigen schwarzen Pupillen waren noch immer schreckgeweitet. »Gib mir das Messer, Nauna«, bat ich sie und streckte langsam meine Hand aus. »Gib es her, bitte …!«
Mein Mittelfinger berührte die Knochenspitze. Nauna ließ sich das Messer widerstrebend aus der Hand nehmen, wobei sie es anstarrte, als würde ich damit gleichzeitig ihre Seele rauben. Dann warf sie sich plötzlich nach vorne. Sie klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende, und während ich sie stumm festhielt, weinte sie sich zurück in den Schlaf …
Nieselregen weckte uns.
Das Feuer war längst erloschen, und unsere Kleidung klebte kalt und klamm an unseren Körpern. Nachdem wir wortlos unsere Sachen zusammengepackt und die windgeschützte Schlucht verlassen hatten, fanden wir uns unvermittelt in einem Sturm wieder, der die schneidende Kälte des Inlandeises in sich trug. Der Nieselregen stob fast waagerecht durchs Tal, durchsetzt von Schnee, der unsere feuchte Kleidung im Nu mit einer weißen Kruste überzogen hatte.
Den Wind immerhin im Rücken, kämpften wir uns entlang der Bergflanken zurück zum Zelt. Als wir nach Stunden schließlich in trockene Felle gehüllt und vor Kälte schlotternd am Feuer saßen, fühlte zumindest ich mich, als habe der Sturm mir das letzte Erg Wärme aus dem Körper geblasen.
Den gesamten Tag über verhielt Nauna sich ungewohnt still. Nicht reserviert oder ängstlich, sondern still. Sie sprach kaum ein Wort, und wenn sie sich an mich wandte, dann mit Blicken oder Gesten. Die Blicke, die sie mir gelegentlich zuwarf, waren allerdings von einer eigenartigen Intensität. Einerseits fühlte ich mich unter ihnen unwohl, andererseits berührten sie mich auf eine bestimmte Art und Weise, von der ich nicht sagen konnte, ob ich mich zurückgewiesen oder angezogen fühlen sollte. Während des gesamten Tages spürte ich regelrecht, wie es hinter Naunas Stirn arbeitete. Vielleicht machte sie sich Gedanken, ob es nicht besser sei, mich einfach zum Teufel zu jagen.
Den wahren Grund für ihr ungewohntes Verhalten erfuhr ich nach Einbruch der Nacht.
Nachdem wir schweigsam zu Abend gegessen hatten, saß Nauna nachdenklich vor der Feuerstelle, bis die Flammen erloschen waren und das Zelt nur noch vom Licht zweier Tranlampen erhellt wurde. Mit ernstem Blick starrte sie in die immer schwächer leuchtende Glut. Dann sah sie mich, der ich schweigend auf meinem Lager hockte und sie beobachtete, eine Weile an, und ich glaubte so etwas wie Angst in ihren Augen zu erkennen. Schließlich erhob sie sich und löschte fast andächtig die Lampen.
Im nächsten Augenblick fühlte ich sie unmittelbar neben mir. Ich hörte ihren aufgeregten Atem und spürte ihre zitternden Hände auf meinem Gesicht. Als ihre Lippen meine Wange berührten und unter sanften Küssen langsam über mein Gesicht wanderten, hielt ich unwillkürlich den Atem an. Während Nauna langsam begann, mich und anschließend sich selbst auszuziehen, waren meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Als ich schließlich ihre Brüste auf meiner Haut spürte, genügte diese flüchtige Berührung, um mich um meine mühsam bewahrte Beherrschung zu bringen. Ungelenk schlang ich meine Arme um
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