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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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gerade dabei war, das Zelt zu verlassen, hörte ich auf einmal ihre heisere Stimme. Zuerst glaubte ich mich zu täuschen, doch es war eindeutig Naunas Stimme, die ich von draußen vernahm. Wie erstarrt blieb ich stehen; nicht, weil sie aus unmittelbarer Nähe erklang, sondern weil Nauna sich offensichtlich mit jemandem zu unterhalten schien.
    Hopfenden Herzens versuchte ich herauszuhören, wer der nächtliche Besucher sein könnte, der dafür verantwortlich war, dass Nauna sich trotz ihrer erbärmlichen Verfassung aus dem Zelt gequält hatte. Ich erwartete, eine Stimme zu hören; eine raue Männerstimme womöglich; eine menschliche Stimme.
    Was jedoch nach einigen Sekunden Stille an meine Ohren drang, war ein Geräusch, wie ich es nie zuvor vernommen hatte. Es klang, als würden Hunderte von Bienen gleichzeitig zu schwärmen beginnen. Trotzdem bildete ich mir ein, aus diesem fürchterlichen Summen so etwas wie Worte herauszuhören; Worte, die zweifellos von Naunas geheimnisvollem Gesprächspartner stammen mussten, aber niemals von menschlichen Stimmbändern erzeugt worden waren. Die Stimme antwortete in Naunas Sprache. Obwohl mein Verstand sich weigerte, diese Geräusche als Stimme zu interpretieren, vernahm ich die Worte deutlich. Ehe sie jedoch einen Sinn zu ergeben begannen, hörte ich einen erstickten Schrei, der zweifellos von Nauna gestammt haben musste, kurz darauf gefolgt von einem schleifenden Geräusch und einem Flattern, das sich langsam in der Ferne verlor.
    Noch immer stand ich schreckensstarr vor der geschlossenen Zeltöffnung, in der rechten Hand die flackernde Tranlampe, die Linke zur Faust geballt, und lauschte gebannt nach draußen. Alles in mir schrie danach, die Zeltwand aufzureißen, um hinauszurennen und Nauna beizustehen, doch dieser Drang wurde erstickt von einem letzten Rest Vernunft, der mahnte: Tu es nicht! Es ist nicht deine Welt. Du hast schon genug Unheil angerichtet. Fordere das Schicksal nicht noch weiter heraus, auf dass es nicht auch über dich kommt…
    Du hast Angst, höhnte die andere Stimme. Hast die Hosen gestrichen voll. Was glaubst du dort draußen vorzufinden, Akademiker? Etwas, das deiner Schulweisheit den Rest gibt?
    Als ich meine Hand ausstrecken wollte, um die Zeltwand zurückzuschlagen, hörte ich schwere, dumpfe Schritte. Sie klangen, als ob sich einer der Moschusochsen langsam dem Zelt näherte. Als ich allerdings genauer hinhörte, vernahm ich eine bedeutende Unstimmigkeit im Schrittrhythmus, die mich alarmiert von der Zeltwand zurückweichen ließ: Falls es sich tatsächlich um eine einzelne Kreatur handelte, bewegte sie sich nicht auf vier Beinen voran, sondern auf sechs! Ihre Schritte waren zudem von Geräuschen begleitet, die sich anhörten, als würde man Messerklingen ins Erdreich rammen.
    Die Anwesenheit des Wesens vor dem Zelt war fast schon körperlich spürbar. Ich bildete mir ein, lediglich die Hand durch den Spalt zwischen den Fellen strecken zu müssen, um es berühren zu können. Als ich das Gefühl hatte, bei meinem nächsten Atemzug müsse etwas Furchtbares die Zeltwand teilen und mich packen, herrschte unvermittelt Stille. Nichts war mehr zu hören; keine Bewegung, kein Schritt, kein Atmen. Und dennoch spürte ich mit jeder Faser meines Körpers, dass sich etwas auf der anderen Seite der Zeltwand befand. Als die schauerliche Stimme von Neuem erklang, wusste ich sofort, dass ihre Worte dieses Mal an mich gerichtet waren. Die Stimme sagte: »Wir erwarten dich in paapeqta!«
    Sekunden später erklang lauter Flügelschlag. Ein heftiger Windstoß trieb die Felle vor dem Eingang ins Zeltinnere und brachte die Tranlampe in meiner Hand zum Erlöschen. Für die Dauer eines Wimpernschlags konnte ich einen Blick nach draußen werfen und sah im Licht des Vollmonds ein klauenbewehrtes, insektenartiges Beinpaar in der Luft verschwinden.
    Während sich das Flattern langsam in der Ferne verlor, blieb ich zitternd in der Dunkelheit zurück, in der ich keine zwanzig Minuten zuvor erwacht war.
     
    Ich betete halb laut, während ich durch die Nacht stolperte. Ich rezitierte Bibeltexte – zumindest soweit ich sie in Erinnerung behalten hatte, oder frei aus meiner Fantasie: »Meine Zuversicht ist mein Schild und mein Glauben meine Feste. Der Herr wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln, dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor der Pest, die im Finstern schleicht und Verderben bringt. Wenn auch tausend

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