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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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fallen zu deiner Linken und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Über Löwen und Ottern wirst du gehen und Drachen niedertreten …«
    Für ein paar Sekunden blieb ich stehen, um zu Atem zu kommen. Vor einer halben Stunde hatte ich den Gletscherfluss durchquert. Das Gelände auf der anderen Talseite stieg wieder sanft an, und meine Schienbeine schmerzten inzwischen vom Laufen. Besser gesagt: Vom Stolpern und Staksen über den nachtdunklen, nur vom Licht einer Tranlampe erhellten Sumpfboden. Ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, was paapeqta war und wo ich danach suchen musste: unterhalb der Aqunaki-Tempel, an der Flanke des Mount Breva. Im Geiste hörte ich bereits den monotonen Singsang, vernahm das verhallende Schmettern von Elfenbeinhörnern und blickte unwillkürlich hinauf in die Schwärze der Felswand. Als ich im Mondlicht schließlich die ersten Ausläufer der Ruinen erkannte, wusste ich, dass mich meine Intuition nicht im Stich gelassen hatte.
    Paapeqta entpuppte sich als die steinernen Überreste jenes Dorfes, das ich in meinen Träumen erblickt hatte. Es musste bereits vor langer Zeit verlassen worden sein; vor Jahrhunderten oder sogar vor Jahrtausenden. Mit bebendem Atem schlich ich an steinernen Zeltringen und Steinwällen entlang, umrundete breite, trapezförmige Felsschächte, die in bodenlose Tiefe führten, und befand mich ständig in der irrationalen Erwartung, das Dorf könne plötzlich zu neuem Leben erwachen. Ich lauschte nach Stimmen, wirbelte bei jedem Geräusch, das ein aufgescheuchtes Kleintier erzeugte, erschrocken herum, und bildete mir sogar ein, die Schatten von fellbekleideten Menschen durch die Ruinen huschen zu sehen. Es kostete mich Überwindung, weiterzulaufen, und erforderte beträchtliche Selbstüberzeugung, mir einzugestehen, dass ich das einzige lebende – menschliche – Wesen an diesem Ort war.
    Dann stand ich vor den Überresten der Opfersäule. Ich hatte bis zuletzt daran gezweifelt, dass es sie gab. Oder vielmehr: Ich hatte gehofft, dass sie lediglich ein Fantasiegebilde innerhalb des Traumes gewesen sei. Doch sie existierte, ebenso wie das Dorf, die Tempel und die Aqunaki.
    Vielleicht wurde sie vor langer Zeit durch einen Felssturz zerstört, oder sogar von den Menschen selbst. Moos- und flechtenüberzogen, ragte sie nur noch zu zwei Dritteln ihrer ursprünglichen Höhe empor. Ihre abgebrochene Spitze fand ich dreißig Schritte weiter bergab an einer zerschmetterten Mauer.
    Als ich nach langem Umherwandern schließlich überzeugt davon war, dass sich außer mir nichts in den Ruinen aufhielt, verschanzte ich mich in einem der Zeltringe, vergrub mich in meiner Kleidung und begann zu warten. Ich starrte lange in den Mond, zählte Sternschnuppen, lauschte und fröstelte. Ab und zu flog ein Vogel vor dem Antlitz des Mondes vorbei, und meine übersteigerte Erwartung sorgte dafür, dass mir bei jedem Schatten, der das strahlende Rund passierte, des Blut in den Adern gefror. Nachdem ich über eine Stunde reglos da gesessen hatte, überkam mich bleierne Müdigkeit. In immer kürzeren Intervallen fielen mir die Augen zu, und mein Kinn sackte hart auf meine Brust. Schließlich war die Müdigkeit so quälend, dass mir meine gespenstische Umgebung und die Aussicht auf eine noch unheimlichere Begegnung völlig egal wurden.
    Ich legte mich zur Seite und kauerte mich am Rand des Zeltringes zusammen. Ob ich nur Sekunden oder bereits Minuten mit geschlossenen Augen da gelegen hatte, weiß ich nicht mehr. Ein entferntes Flattern ließ mich aufhorchen. Ich hielt es zuerst für den Flügelschlag einer Schnee-Eule. Zumindest so lange, bis das Flattern intensiver und hektischer wurde und etwas in unmittelbarer Nähe laut und dumpf auf dem Boden aufsetzte. Gebannt hielt ich die Luft an und öffnete die Augen, vermochte aber außer einem Ausschnitt des Sternenhimmels nichts zu erkennen. Der Steinkreis verwehrte mir die Sicht. Wenn das, was dort soeben gelandet war, tatsächlich ein Vogel gewesen sein sollte, musste es sich um einen außergewöhnlich großen Vogelhandeln.
    Pteranodon, flüsterte die Stimme in meinem Kopf. Fleischfresser, ergänzte sie.
    Ausgestorben!, dozierte eine zweite Stimme. Ein Flugsaurier hätte auch nicht so heftig mit den Flügeln schlagen können.
    Du weißt ganz genau, was es ist, Akademiker. Du weißt es …!
    Nach einer kurzen Phase der Stille begann sich etwas zu nähern, das deutlich mehr Beine besaß als ein Vogel. Das Geschöpf

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