Imagon
durch die das Stahlseil und die Kabelstränge führten, begann innerhalb weniger Sekunden ein weißer Strahl komprimierter warmer Luft in den Himmel zu schießen, als sei unter dem Beton eine Dampfpipeline geplatzt. Gleichzeitig erfüllte ein beständig anschwellendes Heulen den Krater, wie das Dröhnen eines Düsentriebwerks.
»Was zum Teufel geht dort vor?« Mertens hatte sich erhoben und starrte nach draußen.
»Ihre Sache«, überschrie ich das anschwellende Grollen, »scheint jetzt verdammt schlechte Laune zu haben.«
Mertens zischte eine Verwünschung. »Richards«, bellte er ins Funkgerät, »Abbruch! Hören Sie? Abbruch! Bringen Sie sofort Ihre Leute dort raus. Die Masken filtern das Gas nur für wenige Minuten …!«
Das Beben war unvergleichlich intensiver als jenes, das Chapmann und ich vor Tagen erlebt hatten. In der Nähe des Schlucklochs ging mittlerweile alles drunter und drüber. Ich sah den Kran auf dem Eis bocken, als bestehe der vermeintliche 600-Tonnen-Koloss in Wirklichkeit aus Pappmache. Soldaten in Schutzanzügen stolperten um die Kettenraupen und die Betonplatte herum wie aufgescheuchte Ameisen und versuchten, die Helikopter zu erreichen. Das Fahrgestell des Chinook, der dem Schluckloch am nächsten stand, brach unter der Wucht der Erschütterungen, worauf sich die Maschine schwerfällig zur Seite legte. Die Blätter der warmlaufenden Rotoren frästen sich ins Eis, dann verschwanden der gesamte Helikopter und ein halbes Dutzend Soldaten in einer Wolke aus Eissplittern, aus der Metalltrümmer, Rotorenfragmente und Teile von Schutzanzügen herausgewirbelt wurden.
DeFries kniete neben mir und starrte voller Entsetzen zur Ladeluke hinaus. Ich hörte das trockene Knallen metertiefer Risse, die sich bis zu uns herüber durch den Kraterboden fraßen und sich zu breiten Spalten öffneten. Aus ihnen begannen Dampfwolken zu schießen, die das Geschehen in unmittelbarer Umgebung des Schlucklochs verhüllten. Das Beben war mittlerweile so stark, dass selbst unser Chinook, der fast dreihundert Meter vom Zentrum entfernt stand, durchgeschüttelt wurde. Verzweifelt versuchten wir, uns an irgendetwas zu klammern, um Halt zu finden, während das gesamte technische Equipment von den Erdstößen durcheinandergeworfen wurde.
»Kappen Sie die Kabel!«, befahl Mertens, der gegen die Wand des Laderaums geworfen worden war. »Die Luke lässt sich sonst nicht schließen!«
DeFries gab unzusammenhängendes Zeug von sich, wobei ich nur vermuten konnte, dass er aus dem Taaloq rezitierte. Er starrte hinaus aufs Eis, die Hände wie zwei Klauen vor seiner Brust gekreuzt, und stammelte: »In den Grotten der Erde hausen sie! In den Tiefen der Welt leben sie, an den Orten zwischen den Orten. Durch die Höhlen der Welt kriechen sie, in den Klüften der Wahrheit liegen sie und lauern …«
Dann barst die Betonplatte über dem Schluckloch, und mit ihr ein Großteil der umliegenden Eisdecke. Tonnenschwere Eisbrocken flogen in alle Richtungen, wuchteten den Kran und den verunglückten Chinook in die Höhe und begruben Kettenraupen und Soldaten unter sich. Diesmal jedoch war es kein gewaltiger Geysir aus kochendem Wasser, der in den Himmel schoss, sondern eine rötlich schillernde Masse, die als breite Plasmasäule über einhundert Meter hoch aus der Tiefe emporwuchs. Sie sandte vier, fünf mächtige Tentakel aus, die wieder zum Kraterboden niederfuhren. Augenblicke später ragte der Shoggothe auf klobigen, Baum hohen Beinen über dem Schluckloch auf wie ein riesiger, katzbuckelnder Seestern.
»Rotoren an!«, rief Mertens Richtung Cockpit. »Bringen Sie die Maschine hoch!«
»Nein!«, schrie ich, doch der Lärm und die dicken Kunststoffwände des Isolationszeltes ließen meine Stimme nicht nach außen dringen. Es folgte eine Serie von Kurzschlüssen und Implosionen, als ein Erdstoß den Helikopter fast umwarf und sämtliche Monitore zu Boden gingen. Inmitten der qualmenden Plastiktrümmer lagen Broberg, Krogh und die AMES-Leute.
Während wir fassungslos zur Ladeluke hinausblickten, stieg unser Helikopter plötzlich mit der Schnauze voraus in die Luft. Mertens riss überrascht die Augen auf, griff blindlings nach irgendeinem Halt. Ich hätte nur die Hand ausstrecken und nach vorn hechten müssen, um das drohende Unheil zu verhindern, doch die Plastikwand des Zeltes verhinderte es. Haltlos rutschten Mertens und einer der AMES-Leute in einer Lawine aus Elektronikschrott und Computerpulten auf die offene Ladeluke zu, und
Weitere Kostenlose Bücher