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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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unserem Abflug noch den Transportcontainer mit meiner Ausrüstung, der in einem Lagerschuppen neben dem ›Flugplatz‹ untergebracht worden war. Dann gesellte ich mich zu den restlichen Fluggästen, die in der Nähe des Helikopters warteten. Nach einigen Minuten teilte sich das Alltagsgrün, und die Einheitsparkas der Wartenden bildeten Spalier für eine Prozession in Signalrot. Eine mit Decken beladene Sanitätsliege pendelte in den Fäusten von vier Männern vorüber. Aus den Wolldecken schauten vorne schwarze Haare und hinten ein Gipsbein heraus.
    Schließlich stieg Hansen ins Cockpit und wies mir den Copilotensessel zu, der in der voll beladenen Maschine die einzige noch freie Sitzmöglichkeit bot. Insgeheim war ich froh darüber, da ich keine Lust verspürte, mich möglichen Anfeindungen der Einheimischen auszusetzen.
    Gegen 13 Uhr hob die Libelle, wie der Pilot seinen Helikopter euphemistisch nannte, endlich ab. Fette Henne wäre angesichts der plumpen Formen seiner Flugmaschine passender gewesen. Die Libelle war ein fünfzig Jahre alter amerikanischer Sikorsky S-51 und sah aus wie ein rot bemalter Pottwal auf Ballonkufen.
    »Lassen Sie sich von ihren eleganten Formen nicht blenden«, hatte Hansen gewitzelt. »Sie ist vollendet frisiert und unter ihrer Haube tipptopp. Eine rüstige alte Dame.«
    Wir flogen fast zweihundert Kilometer entlang der Nordfjordküste bis Yegavig, wo Hansen zwischenlandete, um den Helikopter noch einmal zu betanken. Mein Pilot hatte sich nicht zurückgehalten, seine Ortskenntnisse unter Beweis zu stellen und sämtliche Inseln, Kaps und Gletscher, die wir während des knapp einstündigen Fluges passierten, mit Namen zu nennen. In Yegavig angekommen, ließ er alle Passagiere (inklusive Krankentrage) aussteigen und vertröstete zwei Mitglieder einer Kajakexpedition, die mit ihren Booten nach Heklahavn gebracht werden wollten, bis zum Nachmittag. Der Impaktkrater war nach wie vor wissenschaftliches Sperrgebiet. Ich blieb als einziger an Bord und fühlte mich wie der König von Grönland auf Stippvisite. Wieder in der Luft, folgten wir einem Hundeschlittentrail hinauf auf den Eisschild, der Kilometer für Kilometer mächtiger wurde und dabei Berg für Berg unter seiner Masse begrub. Der markanteste Wegweiser in der Ferne war Alvermanns Bjerg, dessen schroffer Gipfel aus dem Weiß-Grau des im Eis versinkenden Gebirges wuchs. Mein Herz klopfte, und das Blut rauschte in meinen Ohren, als wir seinen Gipfel umflogen und unvermittelt der riesige Krater sichtbar wurde. Er war noch mindestens zwanzig Kilometer entfernt, doch selbst aus dieser Distanz ließen sich seine Ausmaße erahnen. Ich bemerkte, dass meine Hände schweißnass geworden waren. Jetzt, so kurz vor dem Ziel, brach die gesamte Anspannung und Nervosität der letzten Tage aus mir heraus.
    Als der Helikopter über dem Kessel schwebte, erkannte ich am Fuß der Steilwand auch das mysteriöse Bauwerk wieder. Auf der Oberfläche des Eissees, nahe dem architektonischen Relikt, bewegten sich winzige Figuren in dicken Anoraks. Auf dem Kratergrund wirkten sie wie Ameisen, die über einen Aquamarintisch krabbelten. Die Forschungsstation auf dem Plateau bestand aus zwei Containerkomplexen. Der größere der beiden war nahezu quadratisch und besaß einen Vorbau aus drei oder vier Containern, wahrscheinlich der Eingangsbereich. Der kleinere Komplex ähnelte aufgrund der Anordnung der Container einer Stimmgabel. Ich erkannte zudem ein halbes Dutzend am Kesselrand errichteter Iglus. Eine große Anzahl von Hunden döste neben sechs über das Lager verteilten Transportschlitten. Ob sie sich frei bewegen konnten, ließ sich aus unserer Höhe nicht erkennen. In unmittelbarer Nähe des Kraterrandes ragte ein schlanker, vielleicht fünfzehn Meter hoher Sendemast auf, der von einem niedrigen Unterbau gestützt wurde und offensichtlich dem Funkkontakt zwischen Station und Kratergrund diente.
    »Können Sie nicht direkt im Krater landen?«, fragte ich Hansen, als dieser Anstalten unternahm, mit dem Helikopter auf dem menschenleeren Plateau niederzugehen.
    »Das ist zu riskant.«
    »Ich verspüre keine Lust, mit dreißig Hundegebissen Bekanntschaft zu machen.«
    »Keine Zeit für Experimente. Falls die Maschine im Kessel ausbricht oder ich sie nicht mehr hoch kriege, sitzen meine Passagiere in Yegavig fest.«
    Ein Nebel aus Eiskristallen wurde aufgewirbelt, als der Helikopter einhundert Meter neben den Unterkünften aufsetzte. Ich warf meine Reisetasche aus

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