Imagon
Deckenluke stehen zu bleiben, wo eine Metallleiter zum Materiallager hinabführte. Rijnhard löste die Verschlüsse des Radoms und hob die etwa einen Meter hohe Kuppel ab. Zum Vorschein kamen eine schwarze Parabolantenne und eine Sende- und Empfangsstufe. »Mit diesem System sind wir weltweit erreichbar, über Telefon, Fax, Email und Intercom. Es basiert auf derzeit neun geostationären Satelliten in 36.000 Kilometern Höhe, die an vier Positionen die gesamte Erdoberfläche außer Nord- und Südpol erreichen. Ihnen steht hier ein eigenes Inmarsat-Gerät zur Verfügung, mit dem Sie zu fast jedem Fleck der Erde eine webcamunterstützte Satellitenverbindung aufbauen können. Das Ganze hat nur einen Haken: Die Minute kostet je nach Uhrzeit zwischen neun und zwölf Kronen. Ihnen sollte daher klar sein, dass Sie keine Dauertelefongespräche führen können. Beschränken Sie Ihre Kommunikation mit Kopenhagen oder sonst wohin auf Intercom oder Email. Die maximale Emailgröße ist jedoch auf achtzig Kilobyte beschränkt.«
Abschließend liefen wir zum Kraterrand. Rijnhard hatte mich überredet, meine Schuhe gegen Kamiken zu tauschen. »Ziehen Sie die hier an«, hatte er empfohlen und mir ein paar der Eskimo-Stiefel in die Hand gedrückt. »Sonst frieren Sie sich nach ein paar Stunden im Freien die Zehen ab.« Meine anfängliche Skepsis gegenüber dem Schuhwerk aus Eisbärenfell und Robbenhaut war schnell verflogen. Die Kamiken wärmten außergewöhnlich. Es war mittlerweile fast 18 Uhr, und DeFries hatte über Funk mitgeteilt, dass die Mannschaft nun heraufkomme – eine Information, die sicherlich mehr an die Küche gerichtet war als an mich.
Schweigend standen wir an der Klippe. Das Panorama war überwältigend, ließ mich in Ehrfurcht vor der kosmischen Macht verharren, die hier gewaltet hatte. Gleichwohl war der Krater ein vergängliches Wunderwerk, denn im Laufe der Jahre würde er den Stürmen, dem Schnee und der Sonne anheim fallen. In erster Linie jedoch war er ein Paradoxon. Ich vermisste vor allem das charakteristische Merkmal, das für den Einschlag eines massiven Objektes typisch war: den Ringwall aus Auswurfmaterial. Selbst wenn das Objekt, das den Krater geschaffen hatte, jegliches Eis innerhalb einer Sekunde geschmolzen hätte, müsste sich ein beachtlicher Teil davon durch die Masseverdrängung aufgewölbt haben. Dem zum Trotz war der Limbus bretteben, was meine insgeheim gehegte Theorie über den Verursacher dieses Impaktes untermauerte. Er hatte aufgrund seiner enormen Hitze das Eis geschmolzen und verdampft. Das seismologische Ereignis, das die Stationen gemessen hatten, musste auf die Geschwindigkeit des Objektes und die daraus resultierende Schallwelle zurückzuführen sein, die hier ganze Berge hatte erbeben lassen.
»Wer sind die eigentlich?«, fragte ich und deutete auf die etwa einhundert Meter neben der Station errichteten Iglus.
Rijnhard sagte: »Ach …«, und machte eine abfällige Geste. »Fragen Sie besser DeFries. Ich bekomme sonst nur schlechte Laune. Pack, die da …!«
Mein Blick schweifte hinab zu den Mauern des prähistorischen Bauwerks und folgte der Flanke des Mount Breva hinauf zum Kraterrand. Ich entdeckte die fünf menschlichen Gestalten erst, als diese den Kesselrand schon fast erklommen hatten. Sie stiegen schweren Schrittes vor der Bergwand den Innenwall hinauf und waren auf den ersten Blick kaum zu erkennen, da mich fast dreihundert Meter von ihnen trennten. Während Rijnhard sich verabschiedete und zur Station zurückging, wandte ich mich nach rechts und näherte mich den ›Emporkömmlingen‹. Die Männer stießen dicke, weiße Kondenswolken aus wie fünf bergauf rangierende Dampflokomotiven. Als ich mich der Treppe bis auf etwa einhundert Meter genähert hatte, hatten sie den Kraterwall erreicht. Drei von ihnen liefen direkt auf die Station zu, die beiden anderen kamen mir entgegen. Sie trugen graue Gesichtsmasken unter ihren Fellkapuzen. Erst als sich die vordere Person demaskierte und mir erschöpft von der Arbeit und dem Aufstieg entgegensah, erkannte ich Jonathan DeFries.
Der Professor war alt geworden. Mit seinem weißen Vollbart und seiner Halbglatze ähnelte er einer Nachbildung Charles Darwins, die aus Madame Tussaud’s Wachsfigurenkabinett entkommen war und hier im ewigen Eis Zuflucht gefunden hatte. Was mich zutiefst erschreckte, war DeFries’ blasses, fast schon wächsernes Gesicht. Nichts war mehr übrig von der sonnengebräunten Haut, die er auf den in
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