Imagon
Spikes unter meinen Schuhsohlen ließen das Eis krachen und knirschen, während das monotone Schleifen der Schlittenkufen kaum unter meine dicke Fellkapuze drang. Was, zum Kuckuck, hatte DeFries andeuten wollen, als er behauptete, hier unten würden alle Hunde durchdrehen? Litten die Tiere unter Agoraphobie?
Hin und wieder irrte mein Blick über die im Sonnenlicht flirrende Eisfläche, dann empor über die vierhundert Meter hohe Kraterklippe, um letztlich in den Himmelszenit zu wandern und die Wolkenschlieren zu verfolgen. Ich blinzelte ins grelle Polarlicht. Die Temperatur im Krater dürfte mittlerweile auf minus 20 Grad Celsius gestiegen sein; Windchill-Faktor eingerechnet minus 35 Grad. Ein doppelter Hof aus Eiskristallen umgab die Sonne. Höher und höher ragte der Mount Umos vor mir auf, und ich fühlte mich wie Dante auf seinem Marsch über die eisigen Weiten des Cocytus, in dessen Tiefen eingeschlossen die Verräter büßten.
Ich mochte vielleicht eine Stunde übers Eis marschiert sein, als ich endlich den Bergfuß erreichte. Der Gipfel lag viel höher, als ich geschätzt hatte, und schien für einen alpinistischen Laien wie mich auf den ersten Blick unbezwingbar. Einhundert Meter vor dem Berg hatte ich das AAS platziert, das seine Arbeit bereits aufgenommen hatte. Ein hüfthohes, mit Bolzen im Eis verankertes Rundzelt markierte seinen Standort und schützte es vor Wind und Niederschlag. Erschöpft setzte ich mich auf den Schlitten und gönnte mir trotz der noch herrschenden Kälte eine hastig gerauchte Zigarette. Dann machte ich mich daran, die restlichen Spektrometer zu verteilen, um so bald wie möglich meinen Erkundungsmarsch antreten zu können.
War die mir zugewandte Flanke des Mount Umos noch unüberwindbar steil, so entdeckte ich bei dessen Umrundung auf der Rückseite einen kerbenartigen Einschnitt, der es mir ermöglichen konnte, mit ein wenig Geschick sogar den Gipfel zu erklimmen. Nacheinander lud ich die Boxen aus dem Schlitten, trug jede einzeln auf den Fels und setzte die Geräte zusammen.
Drei wesentliche Besonderheiten fielen mir bereits beim ersten Besteigen auf: Die Eisfläche in unmittelbarer Nähe des Nunatakers war abschüssig, und zwar um so steiler, je näher sie dem Fels kam. Die Neigung begann ungefähr zwei Meter vor dem Bergfuß und endete als tiefe Spalte am Gestein. Es sah aus, als sei das Wasser an den Bergflanken weiter verdampft, als der See bereits gefroren war. Wenn ich nicht Acht gab, würde ich in den Spalt rutschen und mir die Knochen brechen.
Die zweite Auffälligkeit waren die im Eis eingeschlossenen Luftblasen, als sei die Bergspitze dermaßen erhitzt worden, dass sie das Wasser ringsum wie ein Tauchsieder zum Kochen gebracht hatte. Dafür sprach vor allem das dritte und auffälligste Phänomen: Die Felsen sahen aus, als habe man sie mit Tonnen von geschmolzenem Glas übergossen; das gesamte Oberflächengestein hatte sich, wie ich bei einer ersten Untersuchung mit Hammer und Meißel herausfand, in eine zentimeterdicke, blasige Schlackeschicht verwandelt, die aussah, als sei der Berg von einem ekelhaften schwarzen Ausschlag befallen.
Nachdem alle Messgeräte positioniert und kalibriert waren und unter roten Schirmzelten ihre stummen Dienste verrichteten, begann ich zu suchen und zu sammeln. Ich schickte mich an, Gesteinsproben in Beutel zu füllen und diese zu beschriften, eifrig zu fotografieren und über alle gewonnenen Erkenntnisse Notizen in einen der Laptops einzugeben, während der zweite an das Röntgenspektrometer angeschlossen war. Wie die Orgariowa mir in Kopenhagen bereits berichtet hatte, strahlte der Kraterboden nicht mehr Radioaktivität aus, als normal war. Allerdings wies der Mount Umos einen hohen Elektromagnetismus auf, von dem ich hoffte, dass er die technischen Geräte nicht zu sehr beeinflusste.
Der Größe des Impaktkraters nach zu urteilen musste das Objekt – falls es sich um eine feste Form gehandelt hatte – einen Durchmesser von mindestens einhundert Metern besessen haben. Angesichts des ›nur‹ anderthalb Kilometer großen Barringer-Kraters in Arizona, den ein Meteorit mit einem Durchmesser von lediglich dreißig Metern geschlagen hatte, eine eher zurückhaltende Einschätzung.
Auf meinem Erkundungsgang jenseits des Nunatakers fand ich ebenfalls weder Bruchstücke eines Meteoriten noch eine andersartige Beschaffenheit des Schnees vor, was auf das Vorhandensein eines Kometenkerns hätten schließen lassen können. Dennoch musste das
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