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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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in der offenen Tür stehen. »Den Gang runter, dann die vorletzte Tür rechts. Vor dem Zimmer steht ein Rollwagen mit keimfreier Kleidung. Folgen Sie dem Hinweisschild neben der Tür und ziehen Sie sich an wie vorgeschrieben. Waschen Sie sich die Hände dort drüben am Waschbecken und desinfizieren Sie sie. Dann fangen Sie mit den Handschuhen an. Wenn Sie das Zimmer wieder verlassen, werfen Sie die getragenen Sachen in den Behälter links neben der Tür. Das gilt auch, wenn Sie nur für zwei Minuten rausgehen. Ich bin im Dienstzimmer, falls etwas sein sollte. Benutzen Sie aber nicht das Telefon. Ihre Besuchszeit endet in dreißig Minuten.«
    »Ist jemand bei ihr?«
    Die Schwester rang sich ein Lächeln ab. Es war so steril wie alles hier. »Sie sind ihr erster Besucher seit über vier Wochen. Sonst hätte ich Ihnen nie die Erlaubnis gegeben, sie zu sehen. Ihre Verwandten sind Grönländer und haben kein Geld, um sie zu besuchen.«
    »Wer war dann bei ihr?«
    Die Schwester zuckte die Achseln. »Irgendwelche Beamten glaube ich. Dr. Rinov weiß es, aber er ist heute nicht im Haus.«
    Der Äthanolgestank hatte in diesem Teil des Flurs an Intensität gewonnen, und ich bildete mir ein, er sei nun auch mit dem Geruch von Urin und Stuhl vermischt. Hinter der einen oder anderen Tür vernahm ich gedämpfte Unterhaltungen oder Musik. Jenseits der Tür von Zimmer 14 herrschte jedoch Stille. Das Ende des Gangs bildete eine Fensterwand, durch die ich hinaus auf den Krankenhauspark blicken konnte. Der Himmel war grauweiß und formlos. Zweihundert Meter entfernt verlief die Bahntrasse nach Tschernjachowsk. Ein Güterzug kroch lautlos über eine Brücke, die den Flusslauf der Pregel überspannte. In der Ferne sah ich die Türme des Doms und einen Teil des ehemaligen Ordensschlosses.
    Ich fühlte meinen Herzschlag, während ich die Latexhandschuhe über die Hände streifte. Innerlich aufgewühlt las ich die Bekleidungsvorschriften, zog dann einen der grünen Stoffkittel über meine Straßenkleidung, setzte eine Plastikhaube auf und band einen Mundschutz aus Papier um. Im untersten Fach des Wagens lagen blaue Plastiküberzieher für die Schuhe. Soweit keimfrei eingepackt, stand ich mindestens zwei Minuten reglos vor der Tür, eine Hand auf der Türklinke, die andere erhoben, um anzuklopfen.
    Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich angeklopft hatte. Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich bereits das Schleusenzimmer passiert hatte und bei Nauna im abgedunkelten Raum stand. Ich kann ebenso wenig sagen, was ich erhofft – oder besser gesagt: befürchtet hatte, in Zimmer 14 vorzufinden. Maschinen oder Blumen, eine zerbrechliche, von Krankheit gezeichnete junge Frau oder ein von Krebs und Chemotherapie entstelltes Menschmonster.
    Naunas Haut war weiß wie Schnee.
    Sie schlief und hatte mich nicht eintreten hören. Es war nicht allein Müdigkeit, die ihren tiefen Schlaf förderte, sondern wahrscheinlich auch die hochdosierten Medikamente. Naunas Augen waren schwarz umrandet und lagen tief in den Höhlen, ihre Nase wirkte unnatürlich spitz. Ich musste schlucken, denn ich wusste nur zu gut, was dieses Aussehen zu bedeuten hatte. Die dünne, hellblaue Baumwollkappe, die eigentlich Naunas Kopf bedecken sollte, war ihr beim Schlafen verrutscht und gab den Blick auf ihre haarlose Kopfhaut frei. Um ihren Hals lag eine Kette, aber ich konnte keinen Anhänger erkennen. An ihrer linken Bettseite stand ein Infusionsständer mit zwei Fläschchen einer glasklaren Flüssigkeit, die sich Tropfen für Tropfen in ihre Venen schlich. Ein Monitor überwachte Blutdruck und Puls. Sein leises, regelmäßiges Piepen war das einzige Geräusch im Raum.
    Auf dem Nachtisch lag der zugeklappte Laptop, über den sie sich mit mir unterhalten haben musste. Daneben gruppierten sich zwei ineinander geschachtelte Joghurtbecher, eine halb aufgegessene Banane und eine Mineralwasserflasche, eine Sprühflasche mit Antiseptikum und ein Strauß bunter Kunststoffblumen. An den Wänden hingen zwei billige Reproduktionen von Vermeer-Ölbildern hinter rahmenlosem Glas. Jedes dieser Bilder strahlte mehr Leben aus als dieses schneebleiche, schlafende Geschöpf im Krankenbett. Nur an der sich unmerklich hebenden und senkenden Bettdecke war zu erkennen, dass noch Leben in ihm war.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schweigend an Naunas Bett saß. Das Gesetz der Zeit schien in diesem Zimmer außer Kraft. Ich saß nur da, hielt Naunas Hand und sah ihr zu, wie sie schlief.
    Irgendwann

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