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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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trug. Und sein Pech, dass er keinen Anorak trug. Mit der rechten Hand ergriff ich seine Schulter und grub meinen Daumen so fest ich konnte in seinen Zentralnerv. Schönen Gruß an die Großhirnrinde.
    Der Schmerz ließ ihn die Augen aufreißen und auf recht groteske Weise das Gesicht verziehen. Es gibt viele unangenehme Kampfsportarten. Hapkido ist die wohl die Stillste und Unangenehmste. Maqi zitterte, als stehe er unter Strom. Kein Ton drang über seine Lippen, während er in die Knie sank. Als ich ihn losließ, erschlafften seine Muskeln, und er kippte zur Seite weg. Mit an den Leib gepressten Armen und Knien blieb er liegen und würde wohl auch in der nächsten Minute nicht mehr aufstehen. Die Schmerzen hielten erfahrungsgemäß eine Weile an.
    »Jon?«, rief ich in den absteigenden Tunnel hinein. »Jon, hören Sie mich? Ich brauche dringend Ihre Hilfe!« Niemand antwortete; der Kompressor neben dem Eingang tuckerte weiter vor sich hin. Entweder arbeitete DeFries mit seinen Leuten zu tief unter der Oberfläche, oder der Hochdruckstahl aus der Heißwasserdüse übertönte jedes Geräusch. Zehn Meter vor mir ragten die Mauern des Tempels auf, und wenn ich den Verlauf des ins Eis geschmolzenen Stollens richtig berechnete, so führte dieser exakt darauf zu. Nach einem letzten prüfenden Blick auf Maqi begann ich schließlich hinabzusteigen. Zum Teufel mit DeFries’ Mahnung, es ging um ein Menschenleben, und ich war nicht in der Lage, Chapmann allein hinauf ins Lager zu schleppen.
    Als ich das Ende des Stollens erreichte, fand ich mich im Innern jener geräumigen Eishalle wieder, die ich von DeFries’ Lichtbildern her kannte. Allerdings fehlte der perspektivenverzerrende Weitwinkeleffekt, und die Halle wirkte um einiges kleiner als auf den Fotografien. Sie maß gut fünfzehn Meter in der Länge, schätzungsweise sechs Meter in der Breite und zweieinhalb Meter in der Höhe. Die Wände der Halle waren muschelförmig strukturiert und erinnerten an das Innere einer Gletscherhöhle. Alle drei bis vier Meter hatte man eine Stützsäule aus Eis stehen gelassen. Unwirkliches blaues Licht durchflutete den Raum, und ich fühlte mich wie in einer erstarrten, glasig blau schimmernden Unterwasserwelt. Von DeFries, seinen Männern oder den Inuit fehlte jede Spur; die Kaverne war leer. Die pulsierenden Schläuche führten durch die gesamte Halle, und als ich ein paar Schritte hineingelaufen war, sah ich, dass hinter einem mannshohen, ovalen Durchlass an ihrem Ende eine zweite, größere, aber lichtärmere Kaverne lag, die tiefer hinabführte.
    Ich fror, doch nicht nur die Kälte ließ mich zittern. Es war, als ob etwas unter meine Haut zu kriechen und jeden Nerv in meinem Körper vibrieren zu lassen schien. Ich spannte mich und atmete stoßweise. Meine Augen begannen zu tränen, und ich konnte plötzlich den Nasenschleim nicht mehr halten. Tränen und Rotz flossen mir über Wangen und Mund und erstarrten in der kalten Luft zu klebrigem Eis. Mir war, als habe man mein Nervensystem an einen Generator gekoppelt.
    »Poul!«, erklang eine halb überraschte, halb bestürzte Stimme. DeFries war im Durchgang zur angrenzenden Halle aufgetaucht und sah mich an wie ein hungriges Tier, dem ein besonders leckerer Happen in die Falle gegangen war. »Ich hatte Ihnen ausdrücklich untersagt, hier hinunterzukommen!«
    »Chapmann …«
    DeFries trat näher. »Was ist mit ihm? Ist er verletzt?« Der Professor trug einen Sicherheitshelm mit Karbidlampe, dazu einen gelben, nass glänzenden Kunststoffoverall und Gummistiefel. Hinter ihm tauchte eine weitere Gestalt im Durchlass auf, die ich als Hagen, den Chemiker, zu erkennen glaubte. Seine Helmlampe blendete meine Augen.
    »Er hat so etwas wie einen anaphylaktischen Schock …«, stammelte ich. »Irgendein Ding ist in ihm drin … er braucht sofort ärztliche Hilfe …« Ich starrte auf meine zitternden Hände. »Was geschieht mit mir?«
    DeFries schwieg und ließ mich nicht aus den Augen. Er studierte mich, als beobachte er ein hochinteressantes wissenschaftliches Experiment. Ich hingegen stand mit schlotternden Knien im Raum.
    »Was für ein Ding?«, fragte er.
    Mein Puls hämmerte in meinen Schläfen, ich spürte mein Herz schmerzhaft gegen die Rippen schlagen. Der Rotz hatte mir Kinn und Mund verklebt und die Eiskristalle meiner Tränen meine Augenwimpern überzogen, sodass ich kaum noch klar sehen konnte. Mit bebenden Händen zog ich ein Taschentuch hervor und putzte mir das Zeug aus dem

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