Imagon
DeFries’ Anweisung. Chapmann war etwa fünfzehn Meter von der Öffnung entfernt stehen geblieben. Seine Aufmerksamkeit galt dem Eis rings um das Schluckloch.
Ich brauchte nicht lange zu suchen, um zu erkennen, was ihn so in den Bann zog: In einem Umkreis von zehn Metern lagen – erstarrten Glasklumpen gleich – transparente Objekte um das Schluckloch verstreut. Sie erinnerten an die angeschwemmten Schwimmglocken von Schirmquallen, waren jedoch völlig durchscheinend und ohne jede Zeichnung. Dreißig, vielleicht vierzig dieser Gebilde waren mit der Fontäne aus der Tiefe gekommen. Sie schillerten prismatisch, wie Seifenblasen, als wären sie von einem hauchdünnen, fließenden Ölfilm überzogen.
»Was um alles in der Welt sind das für Dinger?«
Chapmann machte nicht den Eindruck, als erwarte er von mir eine Antwort. Vorsichtig trat er an das nächstliegende Objekt heran. Die Videokamera, die er bei unserer Flucht fallengelassen hatte, lag wenige Meter von ihm entfernt in fingertiefem Wasser. Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich den Amerikaner, der mit einem Bein auf dem Eis kniete und die Klumpen studierte. Ich vermutete, dass die Kamera sein eigentliches Ziel war, aber offensichtlich traute er sich nicht hinüber. Ratlos sah er mich an.
»Sehen Sie mal dort«, flüsterte er, als habe er Angst, die schillernden Objekte zum Leben zu erwecken.
Ich blickte in die Richtung, in die er deutete. Auf der anderen Seite des Schlucklochs lag die Magnesiumfackel – erloschen und von einem der Gebilde halb verschluckt. Der Geysir hatte sie wieder ausgespuckt!
Peinlich darauf bedacht, keinem der irisierenden Gebilde zu nahe zu kommen, holte ich einen der Skistöcke aus dem Lastschlitten. Die Dinger bewegten sich nicht, sie rochen nach nichts und waren offensichtlich ebenso frostkalt wie ihre Umgebung. Eines von ihnen lag (oder hockte?) auf dem Sattel des Skidoos.
»He!«, zischte ich, als ich sah, dass Chapmann wie in Zeitlupe durch das zurückfließende Wasser auf die Videokamera zukroch. »Bleiben Sie draußen! Das Ding ist hinüber.«
»Der Memory-Chip lässt sich vielleicht noch retten …«
Sturer Hund. Ich fixierte den Gallertklumpen auf dem Sitz und versuchte, ihn mit dem Skistock herunterzuschieben. Die Metallspitze drang in das transparente Gebilde ein wie in einen Haufen Götterspeise – dann zog sich das Ding plötzlich zusammen und glitt zu meinem blanken Entsetzen bis vor zum Lenker, wo es wieder erstarrte. Die Spitze des Skistockes hatte leicht zu rauchen begonnen, als hätte ich sie in Schwefelsäure getunkt.
Ich wirbelte herum. »Nicht anfassen!«, schrie ich, als ich sah, dass Chapmann die Videokamera hochgehoben hatte. Das gallertartige Ding rutsche im selben Augenblick auf seinen Handschuhrücken. Der Amerikaner äußerte ein erschrockenes, angeekeltes Geräusch und ließ die Kamera wieder fallen. Wie paralysiert starrte er auf seine Hand. Zieh ihn aus!, rief ich in Gedanken, ohne einen Ton über die Lippen zu kriegen. Zieh den verdammten Handschuh aus!
Chapmann ergriff mit der freien Hand vorsichtig die Fingerspitzen des Handschuhs, doch plötzlich war der Gallertbrocken verschwunden. Der Amerikaner glotzte die Stelle an, wo die Kreatur einfach in den Handschuh gesickert war, dann riss er die Augen auf, verzog sein Gesicht und schrie: »O Gott! O Gott, Scheiße …!« Er fiel rücklings aufs Eis, als habe er einen Tritt ins Gesicht gekriegt. »Es ist in meinem Arm! Verdammte Scheiße, es ist in mir drin!«
Ich stand wie gelähmt neben dem Skidoo, unfähig, einen Schritt zu tun, denn von einer Sekunde auf die andere erwachten alle übrigen Gallertbrocken zum Leben. Ihr Schillern war so intensiv geworden, als strahlten sie gespeichertes Sonnenlicht aus. Wie auf ein geheimes Kommando bewegte sich die gesamte Brut mit dem strömenden Wasser auf das Schluckloch zu, indes Chapmann sich in Krämpfen wand und schrie, als verbrenne er bei lebendigem Leib. Eine dieser Gallertkreaturen glitt nur wenige Zentimeter neben meinem linken Stiefel vorbei. Von Grauen gepackt, musste ich mit ansehen, wie die konvulsiven Bewegungen des Amerikaners immer kraftloser wurden, während die Plasmageschöpfe wie die Lemminge zurück in den Abgrund zu stürzen begannen. Chapmanns schmerzerfüllte Schreie verklangen zu einem Wimmern, dann blieb er still und verkrümmt liegen und rührte sich nicht mehr.
Ich steuerte den Skidoo einhändig, presste mit der anderen das Funkgerät ans Ohr und richtete meinen Blick
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