Imagon

wieder »Mh!« oder »Ah!« murmeln, sobald ich Öffnungen markierte, die sich im oberen Bereich der Anlage befanden. Als ich mit meinem Werk zufrieden war, konnte er es gar nicht erwarten, das Buch an sich zu nehmen. Er studierte die Zeichnung ausgiebig und dachte dabei laut: »Ja, das ist machbar … Bei dem Teil, der aus dem Eis ragt, dürfte es sich um dieses Bauwerk handeln … etwas mehr nach links … gar nicht mal so tief … vielleicht sogar schon morgen …« Dann klappte er das Buch zu, und als er mich ansah, leuchtete wieder dieses beunruhigende Feuer in seinen Augen. »Mit Ihrer Hilfe sind wir dem Ziel ein großes Stück nähergekommen, Poul«, triumphierte er. »Ich wünschte, ich hätte Ihre Gabe!«
    Ich sah ihn kopfschüttelnd an; nicht aus Ablehnung, sondern aus Fassungslosigkeit. »Bis eben war ich davon überzeugt, dass Sie hergekommen sind, um mich über gewisse Dinge aufzuklären. Und jetzt muss ich feststellen, dass Sie lediglich mein zweifelhaftes Talent ausnützen, Dinge zu sehen, die ich nicht sehen will. Warum sind Sie so besessen von der Idee, dass der Tempel aus meinen Träumen und die Ruine im Krater identisch sind? Wieso, Jon? Was treibt Sie dazu, sich Tag für Tag immer tiefer an diesem Bauwerk hinabzuarbeiten; so verbissen, dass Sie sogar Ihre Gesundheit ruinieren? Was ist dieser Tempel? Was ist das für eine grauenvolle Kraft, der ich gestern in der Halle ausgeliefert war? Und in welchem Zusammenhang steht das Bauwerk mit diesem Ding unter dem Eis?«
    DeFries trank seinen Kaffee in einem Zug aus und stellte die Tasse beiseite. »Ich bin hier, um Sie einzuweihen, Poul … Aber ich habe schlicht und einfach gesagt Angst, dass Sie dieses Wissen überfordern könnte. Sie sind bereits ein Teil der Wahrheit und jener Mächte geworden, die hier wirken. Und nach dem, was mir Rijnhard heute erzählt hat, mache ich mir berechtigte Sorgen.«
    »Ach, und Chapmann? Machen Sie sich um den auch Sorgen?«
    DeFries wich meinem Blick aus. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt, das Institut zu informieren und Broberg nahe zu legen, Ihre Abreise zu organisieren. Ich war von vornherein nicht damit einverstanden, dass Sie und Chapmann zu uns stoßen, und das nicht nur aus beruflichen Gründen. Ich mag Sie, Poul, und ich will nicht, dass Sie hier vor die Hunde gehen wie …« Er verstummte. Dann griff er in seine Tasche, holte seine Tablettendose hervor, ließ zwei Pillen in seine Hand fallen und schluckte sie ohne Flüssigkeit herunter.
    »Wie Chapmann?«, fragte ich. »Oder wie Sie?«
    Statt einer Antwort sagte DeFries: »Sie haben die Wahl: Entweder Sie erklären sich krank und bitten Broberg um Ihre Rückreise nach Kopenhagen, und kein weiteres Wort wird heute fallen. Oder Sie erfahren die Wahrheit und werden lernen müssen, sie zu ertragen und für immer mit ihr zu leben. Wir werden Sie nicht weiter ausschließen, aber Sie müssen alle Konsequenzen tragen, die sich daraus ergeben, und zwar für den Rest Ihres vielleicht sehr kurzen Lebens. Die Entscheidung, die Sie jetzt treffen, ist endgültig.«
    Ich versuchte vergeblich, in DeFries Augen zu lesen. »Erinnern Sie sich an die Worte, die Sie unten in der Halle zu Hagen sagten?«, fragte ich. »Sie sagten, es sei bereits zu spät. Viel zu spät …«
    DeFries sah mich lange an. »In Ordnung«, nickte er, und ich glaubte, so etwas wie schmerzliches Bedauern aus seiner Stimme herauszuhören. »Aber werfen Sie mir niemals – niemals! – vor, ich hätte Sie nicht gewarnt.« Er lehnte sich zurück und suchte anscheinend nach einer adäquaten Einleitung. »Diese Energie, der Sie – wir alle – innerhalb der Halle zum Opfer gefallen waren, hat nichts mit einem strahlenden Hyperboliden oder freigesetzter Radioaktivität zu tun. Das Relief strahlt sie aus.«
    »Das Relief?« Ich sah DeFries skeptisch an.
    »Klingt meine Behauptung etwa fantastischer als die um Ihren Plasma-Feuerball?«
    »Ich rede von Wissenschaft, Jon, Sie jedoch« – Ich überlegte einen Moment lang – »von Magie, wenn ich Ihre Behauptung richtig interpretiere. Das steht in keiner Relation zueinander!«
    »Nennen wir es einen Symbolzauber.«
    DeFries entzündete seine Pfeife, und bald darauf war die Luft im Container von aromatischem Rauch geschwängert. »Das Relief ist das Ideogramm eines sogenannten Kon Iluun, was übersetzt soviel bedeutet wie ›Alter Gott‹.«
    DeFries schlug das zweite Buch an einer markierten Stelle auf und schob es zu mir herüber, ohne seine Hand von der Seite