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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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folgen werden, wohin er geht und sehen werden, was er sieht. Sedmeluqs Kopf wird euch führen …«
    Ich wollte die Augen öffnen, aber sie waren gar nicht geschlossen. Ich konnte nichts mehr sehen bis auf ein kleines, farbiges, kreiselndes Licht im Mittelpunkt der Schwärze, das sich rasend schnell entfernte. Das immer leiser werdende Trommeln und der quäkende Singsang des Novizen verloren sich dann irgendwo in der Dunkelheit.
     
    Ich fühlte mein Körpergewicht nicht mehr, konnte nicht bestimmen, ob ich saß, lag oder schwebte. Stille herrschte, lediglich ein entferntes Rauschen war gelegentlich zu hören. Ich verspürte keinerlei Drang, irgendetwas zu tun, eine Bewegung zu machen, einem Gedanken zu folgen. Es gab keine Gedanken, und nichts außer dem fernen Rauschen reizte meine Sinne. Ich wusste nicht einmal, ob ich atmete.
    Das schwerelose Gefühl wich auch nicht, als ich merkte, dass ich auf dem Boden lag. Ich lag auf dem Rücken, hatte die Augen geöffnet und sah empor in einen formlosen dunkelroten – Himmel?
    War das ein Himmel? Ich blinzelte. Nichts änderte sich. Keine Wolken, keine Sonne, keine Sterne, nur einförmiges Dunkelrot.
    Als ich den Kopf drehte, sah ich Wellen, die sich an einem ausgedehnten Sandstrand brachen. Der Sand war ebenfalls rot, glich getrocknetem, gemahlenem Blut. Das Wasser hingegen war schwarz wie Pech und leckte lautlos über den Strand. Hin und wieder brandete eine Woge über mich hinweg, aber ich konnte das Wasser nicht fühlen. Es war weder heiß noch kalt und besaß keinen Geschmack. Oder besaß ich keinen Körper?
    Ich sah an mir herab und fand mich eingesponnen in Tausende langer, dünner, gläserner Fäden, die aus dem Meer heraus über meinen Körper hinwegkrochen. Sie umhüllten mich, drangen durch sämtliche Poren in mich ein und schienen das, was mein Körper in dieser Welt war, langsam aufzuzehren. Ich konnte mich nicht bewegen, spürte, wie diese haarfeinen Tentakel jedes meiner Blutgefäße ausfüllten. Ich hatte das Gefühl, von ihnen aufgesaugt und dem Schwarz des Ozeans einverleibt zu werden.
    Als ich mich aufbäumte, um mich aus diesen entsetzlichen Fesseln zu befreien, begann etwas Gigantisches aus dem Meer herauszuwachsen. Es war wie ein Berg, der höher und mächtiger wurde und schließlich als sich windender Turm über mir verharrte. Das Tentakelgeflecht im meinen Körper zog sich blitzartig zurück und verschwand in der riesenhaften, halb transparenten Protoplasmasäule, die in denselben Farben schillerte wie die Gallertklumpen aus dem Kratersee. Dann öffnete sich die Spitze der Säule, teilte sich zu einem fünfzackigen Stern und entließ ein wimmelndes Gebilde, dem ich voller Grauen entgegenstarrte, während sich die Kreatur langsam zu mir niederbeugte …

 
11
     
     
    Das Klingeln des Telefons ließ mich zusammenzucken. Ich starrte es vom Bett aus an, ohne im ersten Moment zu wissen, warum es klingelte und wozu es gut war. Irgendetwas ist soeben fertig geworden, dachte ich. Aber ich konnte mir keinen Reim drauf machen, was. Vielleicht ein Alarm, überlegte ich. Da ich mich nicht bedroht fühlte, blieb ich sitzen und starrte das Telefon an, in der Erwartung, es würde eventuell zu mir kommen, wenn ich mich nicht rührte. Vielleicht hätte es Leuchtkugeln abschießen und in Flammenschrift fordern sollen: Heb ab! So jedoch starrte ich die lärmende schwarze Form auf dem Tisch nur stumpfsinnig an und begann mich zu ärgern (immerhin eine Emotion!), dass das Ding nicht zu klingeln aufhörte.
    Irgendwann war es wieder still. Ich wusste nicht, wie lange ich danach noch auf dem Bett saß. Dann läutete das Telefon erneut, und mein Gehirn funktionierte zumindest wieder so weit, dass ich ganz langsam aufstand, zum Tisch ging und nach dem Hörer griff.
    »Ja?«, meldete ich mich verstimmt.
    »Ich bin es«, erklang DeFries’ Stimme am anderen Ende der Leitung. »Habe ich Sie geweckt?«
    »Nein.« Ich überlegte. »Ja«, verbesserte ich mich, als mir dies dienlicher erschien. »Ich weiß es nicht«, wich ich schließlich aus.
    »Rijnhard meinte, es gehe ihnen nicht gut …«
    »Ich bin okay.«
    Jeder Schwerhörige musste an meiner Stimme erkennen, dass genau das Gegenteil der Fall war. DeFries schwieg einen Moment lang. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich in einer halben Stunde rüberkomme?«, fragte er schließlich. »Wir müssen uns unterhalten.«
    Ich willigte ein, warf das Telefon achtlos aufs Bett und starrte auf meine immer noch zitternden Hände. Ich

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