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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hatte eine Dusche genommen, nachdem ich in Talalinquas Iglu wieder halbwegs zu Sinnen gekommen war. Anders konnte man es wohl nicht beschreiben. Dass es auch dem Schamanen nach unserem gemeinsamen Psychotrip nicht besonders gut gegangen war, war mir keinesfalls ein Trost.
    Ich hatte mir den Gestank der Pasten und die Berührungen, Umarmungen, Liebkosungen dieser … Kreatur vom Leib gewaschen, lange und intensiv – auf dem Boden der Nasszelle hockend, die angezogenen Knie mit den Armen umschlungen und gegen Ende hin zitternd und mit blauen Lippen, weil sämtliches Warmwasser verbraucht gewesen war.
    Natürlich war es ausgerechnet wieder Rijnhard gewesen, der mich so vorgefunden hatte. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich über eine Stunde lang bei aufgedrehter Dusche fantasierend in der Kabine gehockt hatte. Ich hatte überhaupt nichts gespürt! Keine Kälte, keinen Schmerz. Erst als Rijnhard mich an der Schulter berührt hatte, war ich aus dem Trauma-REM aufgeschreckt – und hatte minutenlang geschrien. Rijnhard war daraufhin nichts Besseres eingefallen, als mir eine Spritze mit Rohypnol in den Arm zu jagen.
    Nun ja, dumm gelaufen. Und wiederum peinlich.
    Rijnhard glaubte nach wie vor, ich leide unter den Nachwirkungen dessen, was mich im Tempel ereilt hatte, dazu vielleicht der ekelhaft anzuschauende Zustand Chapmanns, gepaart mit Schuldgefühlen … posttraumatische Angstzustände, und so weiter.
    Eigentlich hatte er recht. Eigentlich …
    Mylius jedenfalls hatte versprochen, den Mund zu halten, und so ließ ich Rijnhard vorerst in seinem Glauben. Es war meine Entscheidung gewesen, Talalinqua aufzusuchen und Sedmeluq ins Angesicht zu blicken. Also würde ich allein mit den Konsequenzen fertig werden.
    Als DeFries meinen Container betrat, trug er einen Rucksack bei sich, was mich neugierig und zugleich skeptisch machte. Er erschrak unmerklich über meinen glasigen Blick und die stecknadelgroßen Pupillen, in denen sich die Wirkung des Sedativums widerspiegelte. Ich verspürte keine Lust, ihm von meinem Besuch bei Talalinqua zu erzählen. Zu frisch und unverfälscht waren die Eindrücke an das Gesehene und Erlebte, und zu vage die Vorstellung davon, was ich von DeFries alsbald noch erfahren mochte. Dass er nur gekommen war, um Trivialitäten auszutauschen und nebenbei meinen Gesundheitszustand zu kontrollieren, hielt ich für recht unwahrscheinlich. Zudem herrschte zwischen uns beiden ein gravierendes Ungleichgewicht an Hintergrundwissen.
    DeFries war hier, um zu reden. Und zwar über Dinge und Zusammenhänge, die mich ursprünglich gar nichts angehen sollten. Aber die jüngsten Ereignisse zwangen ihn, eine Art Exklusivwissen offen zu legen und mich zu einem gleichberechtigten Mitglied beim Tanz auf dem Vulkan zu machen. Es gab tausend Fragen, und DeFries wusste vermutlich ebenso viele Antworten.
    Und ich …
    Ehrlich gesagt: Ich wollte in meiner momentanen Verfassung überhaupt nichts mehr wissen. Nichts mehr sehen, hören, fühlen, mich einfach verstecken oder auf den nächstbesten Motorschlitten steigen und davonfahren. Ich fühlte mich wie ausgekotzt, hatte in der kurzen Zeit noch keine Gelegenheit gefunden, um die Bilder und Eindrücke der letzten vierundzwanzig Stunden abzulegen. Alles kreiste wirr und verdreht in meinen Gedanken, schrie nach Ordnung, nach Distanz, nach Logik. Allerdings wusste ich nur zu gut, dass ich nicht zur Ruhe kommen würde, ehe gewisse Fragen beantwortet waren und ein Mindestmaß an innerer Sicherheit wiederhergestellt war. Daher beschloss ich abzuwarten und den Mund zu halten; über das belauschte Gespräch zwischen Rijnhard und Hansen, über Talalinqua – und über die Vision Sedmeluqs. Meine größte Angst aber war, dass ich mit dem wenigen, das ich bisher erfahren hatte, nur an einer Oberfläche gekratzt hatte. Und dass unter dieser dünnen Kruste aus Irritation ein gähnender, schwarzer Abgrund lag, der jeden, der sich zu tief hinabbeugte, verschlang.
     
    »Hatten Sie nicht einmal geschworen, niemals einen Fuß auf einen Erdteil zu setzen, der höher liegt als der 60. Breitengrad?« DeFries wärmte seine Finger an einer Tasse Kaffee und sah mich über den Rand seiner Brille hinweg an wie zu der Zeit, als er noch am Institut gelehrt und wir uns abends zu gelegentlichen Fachsimpeleien zusammengefunden hatten. »Jetzt sitzen wir am 72.«
    Ich zuckte die Schultern. »Betrachten Sie’s als Schocktherapie.«
    Ich starrte in meinen eigenen Kaffee. Partikel geronnener Milch trieben auf

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