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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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der Oberfläche und erinnerten mich an driftende Eisschollen.
    »Vorgestern erwähnten Sie bezüglich des Kraters eine Theorie«, griff DeFries einen Gedanken auf, der ihn anscheinend nicht zur Ruhe kommen ließ. »Erzählen Sie mir davon.«
    Ich lächelte säuerlich. »Nach dem, was passiert ist, ist sie wohl nicht mehr relevant.«
    »Ich verlange ja keine Fakten.«
    Ich sah ihn an, dann starrte ich wieder auf die immer träger kreisenden Milcheisschollen auf meinem Kaffeeozean. »Ich glaubte, dass es sich bei dem Objekt, das den Krater geschaffen hat, nicht um einen Meteoriten oder Kometenkern handelte, sondern um einen O-Hyperboliden.«
    DeFries legte den Kopf schräg. »Ich merke, Sie sind ein Visionär geblieben. Wenn Sie die Existenz von O-Hyperboliden eines Tages beweisen können, sind Sie ein gemachter Mann, Poul.«
    »Haben Sie nicht selbst geschrieben, das Zufällige sei nur ein aus der Ferne herangekommenes Notwendiges? Falls ein Bolide existiert, ist der Nachteil, dass er im Eisschild versunken ist. Ich wäre gezwungen, eine korrekte Frage aus einer missverständlichen Antwort zu rekonstruieren – ohne jemals den Verursacher präsentieren zu können.«
    »Ebenso gut könnten Sie sich bemühen, eine Schleifspur im Staub einem Gespenst anzuhängen«, meinte DeFries. »Oder jüngst erloschene Flammen zu präsentieren, die Sie in einem Weckglas aufbewahren.«
    »Dank der Oberflächenbeschaffenheit des Mount Umos habe ich glücklicherweise mehr als leere Worte in der Hand«, entgegnete ich. »Was auch immer hier passiert ist, irgendwie muss eine Art Energie auf das Gebäude übergesprungen sein und das Gestein aufgeladen haben. Ich fühlte mich in der Halle wie in einem Kraftfeld. Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas gespürt.«
    »Ich schon«, bekannte DeFries. »Aber das ist lange her«, fügte er schnell hinzu, als ich überrascht zu ihm aufsah. »Damals hatte ich gerade mein Studium beendet und hielt mich zwei Monate im Irak auf. Ich unternahm Reisen nach Nemrud, Ninive und Ur. Wie Sie wissen, sind die Ethnologie und die Mythologie seit jeher meine geheimen Schwächen. Das habe ich meinem Vater zu verdanken. Er war Theologe und ein Büchernarr. Leider verdient man damit nicht viel Geld.« DeFries nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Als er wieder aufsah, wirkte er alt und abgespannt. »Aber das ist eine andere Geschichte, aus einer anderen Zeit.«
    Er räumte die Tassen beiseite und zog zwei großformatige gebundene Notizbücher aus seinem Rucksack, die er vor sich auf den Tisch legte. Während er sich mit dem Ellbogen darauf abstützte, stopfte er in aller Ruhe seine Pfeife. »Als Sie bewusstlos waren, fiel mir auf, dass Sie ein ungewöhnliches Amulett um den Hals tragen«, bemerkte er. »Nicht das aus Elfenbein, sondern das andere. Darf ich erfahren, woher Sie es haben?«
    »Es ist eine Art Erbstück.«
    »Und wissen Sie zufällig etwas über seine Herkunft?«
    »Nein.«
    Meine Antwort schien ihn zu enttäuschen.
    »Und Ihr eigenes?«, konterte ich. »Wie kommt es, dass Sie einen Anhänger tragen?«
    DeFries sah überrascht auf. Er fasste an seinen Hals, wie um sich zu überzeugen, dass ich recht hatte und zog an der Lederschnur, die ich im Krater erkannt hatte, eine etwa drei Zentimeter große, gravierte Elfenbeinscheibe heraus.
    »Talalinqua hat es angefertigt«, erklärte er, ohne nachzuhaken, woher ich von dem Amulett wusste. »Die Gravur stellt ein magisches Gleichnis dar. Der Schamane nennt es Gil.« Er sah es eine Weile an und ließ es dann wieder unter seinem Pullover verschwinden, als sei es ihm peinlich. »Ich möchte gerne noch einmal auf Ihre Träume zurückkommen«, wechselte er das Thema. »Können Sie sich an die Tempelanlage erinnern, auf die Sie in ihren Träumen zugeschwebt sind?«
    »Ich habe sie bildhaft vor Augen.«
    »Beschreiben Sie sie bitte. Oder besser noch« – DeFries nahm eines der Notizbücher, schlug eine leere Doppelseite auf und reichte mir einen Kugelschreiber – »versuchen Sie sie zu zeichnen! In welcher Höhe lagen die Balkone, wo befanden sich Eingänge oder Fenster?«
    Mit unsicherer Hand rekonstruierte ich aus der Erinnerung den ausgedehnten Gebäudekomplex. »Er erstreckt sich mindestens zweihundertfünfzig Meter weit und vielleicht einhundert Meter hoch«, erklärte ich dabei. »Die Balkone und Terrassen liegen allesamt im unteren Drittel. Etwa so.« DeFries verfolgte meine etwas ungeschickten Bemühungen aufmerksam, und ich hörte ihn hin und

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