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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Sund vorschiebt und im Durchschnitt etwa achtzig bis einhundert Meter dick ist, liegt nicht vollständig auf dem Grund auf, sondern schwimmt ab einer bestimmten Entfernung vom Festland auf dem Wasser. Zwischen dem Grund des Fjords und der Unterseite dieses Eisteppichs befindet sich folglich ein tiefer Spalt, der sich erst kurz vor dem Ufer schließt; in einer Wassertiefe von vierzig bis fünfzig Metern.
    Infolge der relativ milden Temperaturen war nun ein mehr als hektargroßes Stück der Gletscherzunge in den Fjord abgebrochen, worauf die riesige Höhle im Inneren – über zwanzig Meter hoch und etwa doppelt so breit und an der Bruchkante noch immer zur Hälfte unter dem Wasserspiegel liegend – sichtbar geworden war. Bei Nachforschungen aus der Luft war den Piloten eine langgezogene Senke auf der Gletscheroberfläche aufgefallen, die sich ohne nennenswerte Unterbrechung bis hinauf zum Eisschild zog. Sie war unmittelbar hinter der Gletscherkante am tiefsten und verlor sich erst nach über sieben Kilometern.
    Die Vermutung, dass unter dem Weitershausengletscher eine riesige Höhle durch nachgebendes Eis teilweise eingesackt sein könnte, bestätigte sich bereits einen Tag später: Radarmessungen hatten ergeben, dass sich die Höhle, nachdem ihr Verlauf anhand der Grabensenke nicht mehr erkennbar war, noch kilometerweit in nordwestlicher Richtung unter dem Eis dahinzog, und zwar in Richtung eines seit dem 4. März bestehenden militärischen Sperrgebietes nahe Alvermanns Bjerg.
    Sorgte allein schon die letzte Meldung für Diskussionsstoff, waren Geologen und Speläologen bei den Auswertungen von Luftaufnahmen der Höhlenmündung zudem mehrere rätselhafte Anomalien aufgefallen: Zum einen besaß die Höhle nicht das charakteristische Schlüssellochprofil einer Gletscherhöhle, sondern war gleichmäßig oval, sodass sie im Querschnitt mehr einer Lavahöhle glich. Zum anderen fehlte die typische muschelförmige Struktur der Wände, die von subglazialen Schmelzwasserströmen erzeugt wird. Was mich jedoch zunehmend beunruhigte, war die dritte Regelwidrigkeit: Bestimmte Strukturen an den Höhlenwänden ließen darauf schließen, dass – sollte es tatsächlich Schmelzwasser gewesen sein, das die Höhle geschaffen hatte – dieses nicht nur bergauf, sondern zudem landeinwärts geströmt sein musste!
    Weitere Untersuchungen, so schlossen beide Berichte vorwurfsvoll, waren zwei Tage nach der Entdeckung der Höhle vom dänischen Militär unterbunden worden. Vom Weitershausengletscher bis zu Alvermanns Bjerg hatte es eine Flugverbotszone eingerichtet und den Nordfjord samt Gletscherregion zum Sperrgebiet erklärt. Beide Artikel trugen das Datum von heute.
    Ich brauchte angesichts dieser Informationen nicht lange zu grübeln, um zu wissen, dass sämtliche Onlinemeldungen über die Gletscherhöhle vorsätzlich sabotiert oder gelöscht worden waren.
    Anscheinend gab es also tatsächlich eine unterirdische Verbindung zwischen dem Krater und dem Fjord. Allein diese Tatsache war mehr als beunruhigend. Dennoch: Die entdeckte Höhle war nicht die Verbindung, die ich gesucht hatte; jener erhoffte zweite Ausgang, der für den Sog am Schluckloch verantwortlich war und durch den Millionen von Kubikmetern Wasser in den Sund geströmt waren und die Springflut verursacht hatten. Bergauf geflossen, dachte ich ununterbrochen. Landeinwärts … aus dem Meer …
    Falls sich tatsächlich etwas aus dem Fjord heraus durch das Eis bis hierher gegraben (oder geschmolzen?) hatte, wäre das Wasser erst danach durch den unterirdischen Kanal in den Fjord geströmt. Aber die Geologen sprachen von Strukturen, die auf eine Fließrichtung ins Landesinnere hindeuteten. Wäre zudem die neu entdeckte, unter dem Meeresspiegel mündende Höhle der Wasserablauf gewesen, hätten die Wassermassen die Gletscherzunge bereits vor Monaten anheben und in tausend Eisberge zerreißen müssen. Wo also befand sich der Kanal, durch den das Wasser abgeflossen war? Hatte es sich im bereits existierenden System natürlicher Eishöhlen einen direkteren Weg zum Fjord gebahnt? Oder hatte sich das Wasser in seiner Wucht am Rande des Eisschildes kilometerweit vom Fjord entfernt einen Ausgang geschaffen und war über Land in den Fjord geströmt?
    Ich schaltete geistesabwesend den Laptop aus, klappte ihn zusammen und verstaute ihn in einem der Schreibtisch-Schubfächer, als ich vor dem Container sich nähernde Schritte vernahm. Einen Lidschlag später wurde die Tür aufgestoßen, und

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