Immer dieser Michel
verschwunden.
Michels Vater war außer sich, als er von der Ratte hörte.
"Das ist ja eine schöne Geschichte", sagte er. "Ratten in der Küche! Die können uns das Brot und das Fleisch auffressen."
"Und mich'", sagte Lina.
"Ja, und dann unser Fleisch und unser Brot", sagte Michels Vater.
"Wir lassen die Katze diese Nacht in der Küche!"
Michel, wenn er auch Fieber hatte, hörte das von der Ratte und überlegte sich gleich, wie er sie fangen könnte, falls es mit der Katze nicht so ganz klappen sollte.
Um zehn Uhr am Abend dieses 27. Juli war Michel absolut fieberfrei und voller Tatendrang. Um diese Zeit schliefen all die anderen auf Katthult, Michels Vater, Michels Mutter und Kleinida in der Kammer neben der Küche, Lina in ihrem Küchenbett und Alfred in seinem Knechtshaus neben dem Tischlerschuppen; die Schweine und Hühner schliefen in den Schweine- und
Hühnerställen, Kühe und Pferde und Schafe schliefen draußen auf den grünen Wiesen - aber in der Küche saß eine Katze hellwach und hatte Sehnsucht nach der Scheune, denn dort waren mehr Ratten.
Hellwach war auch Michel. Und aus seinem Bett in der Kammer schlich er leise in die Küche.
"Armes Schnurrchen", sagte er, als er die Katzenaugen hinten an der Küchentür leuchten sah, "hier sitzt du nun."
"Miau", antwortete Schnurrchen. Und tierfreundlich wie der kleine Michel war, ließ er Schnurrchen hinaus.
Die Ratte mußte natürlich gefangen werden, und weil jetzt die Katze nicht mehr da war, mußte es auf irgendeine andere Weise geschehen. Deshalb nahm Michel eine Rattenfalle und stellte sie mit einem kleinen Stück Fleisch neben der Holzleiste auf. Dann aber dachte er nach. Falls die Ratte die Falle sah, sobald sie ihre 44
Nase aus dem Loch steckte, konnte sie doch mißtrauisch werden und sich überhaupt nicht mehr fangen lassen. Es wäre also besser, dachte Michel, wenn die Ratte erst einmal in aller Ruhe durch die Küche laufen könnte und dann ganz plötzlich die Falle dort finden würde, wo sie sie am wenigsten vermutete. Michel dachte auch kurz daran, die Falle Lina aufs Gesicht zu stellen, denn das war doch die Stelle, über die die Ratte gern lief. Aber den Gedanken gab er auf - Lina würde kreischen und alles zerstören. Nein, es mußte ein anderer Platz gefunden werden. Warum eigentlich nicht unter dem Küchentisch? Gerade dorthin lief doch eine Ratte, um nach heruntergefallenen Brotkrumen zu suchen. Natürlich nicht gerade unter dem Platz von Michels Vater, da war es nur mager mit Brotkrumen bestellt.
"Oh, wie schlimm", murmelte Michel und blieb mitten in der Küche stehen. "Man stelle sich vor, die Ratte kommt ausgerechnet dorthin, sie findet keine Brotkrumen und knabbert statt dessen an Vaters großem Zeh!"
Das durfte nicht geschehen, das mußte Michel verhindern. Und deshalb stellte er die Rattenfalle dorthin, wo sein Vater immer die Füße hinsetzte. Dann kroch er, sehr zufrieden mit sich, wieder ins Bett.
Erst am hellen Morgen wachte er auf, als lautes Geschrei aus der Küche erscholl.
"Die sind sicher froh, daß die Ratte gefangen ist, deshalb schreien sie so", dachte Michel, aber in dem Augenblick stürzte seine Mutter herein. Sie zerrte ihn aus dem Bett und zischte ihm ins Ohr:
"Raus mit dir in den Tischlerschuppen! Schnell, bevor Vater seinen großen Zeh aus der Rattenfalle rausbekommt! Schnell -
sonst hat, glaube ich, deine letzte Stunde geschlagen."
Sie ergriff Michels Hand und rannte fort mit ihm, so, wie er war, im Hemd, denn es war keine Zeit, Michel anzuziehen.
"Aber meine Busse und meine Müsse müssen jedenfalls mit", schrie Michel. Er packte die Mütze und die Büchse und rannte an 45
der Hand seiner Mutter in dem dünnen Hemd, das um ihn herumflatterte, dem Tischlerschuppen zu.
Michels Mutter schob außen den Riegel vor die Tür, damit Michel nicht herauskommen konnte, und Michel schob innen den Riegel vor die Tür, damit sein Vater nicht hereinkommen konnte -
klug und vorsorglich von beiden.
Michels Mutter fand, es wäre das beste, wenn Michel seinem Vater in den nächsten Stunden nicht begegnen würde. Das fand Michel auch, deshalb schob er ja den Riegel sorgfältig zu, bevor er sich in aller Ruhe auf den Hauklotz setzte und ein lustiges Holzmännchen schnitzte. Es waren bereits siebenundneunzig Männchen. Sauber aufgereiht standen sie auf einem Regal, und Michel hatte seine helle Freude, wenn er sie sah und wenn er daran dachte, daß er bald hundert haben würde. Das sollte ein richtiges Jubiläum
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