Immer dieser Michel
Darüber redeten sie in Lönneberga auch noch lange.
Es passierte so: Michel stand vorn an der Tafel und hatte wirklich schwere Zahlen zusammengerechnet, und als das klar war, sagte die Lehrerin:
"Gut, Michel, du kannst dich wieder setzen!"
Das tat er auch. Im Vorbeigehen beugte er sich aber über die Lehrerin, die am Katheder saß, und gab ihr einen richtigen Kuß mitten auf den Mund. So etwas hatte sie noch nie erlebt, und sie wurde rot und stotterte:
"Michel, warum . . . warum . . . hast du das getan?"
"Das tat ich wohl in meiner Güte", sagte Michel, und es wurde nachher so gut wie ein Sprichwort in Lönneberga.
"Das tat ich in meiner Güte, sagte der Katthult-Junge und küßte die Lehrerin", pflegten sie zu sagen und sagen es vielleicht heute noch.
In der Pause kam einer der großen Jungen und wollte Michel damit aufziehen.
"Du küßt also die Lehrerin", sagte er und grinste höhnisch.
Ja", sagte Michel, "willst du, daß ich es noch einmal tue?"
Aber das tat er nicht. Es geschah nur einmal und nie wieder. Und die Lehrerin war Michel nicht böse wegen des Kusses, nicht im entferntesten.
Es gab noch mehr, was Michel in seiner Güte tat. In der Pause rannte er ins Armenhaus hinüber und las Stolle-Jocke und den anderen aus der "Smaland-Post" vor. Glaub also nicht, daß Michel nicht auch Gutes in sich hatte.
Im Armenhaus fanden sie jedenfalls, daß es die besten Stunden des Tages waren, wenn Michel kam, und sie freuten sich, der Stolle-Jocke und Johann-Ein-Öre und Kalle-Karo und Unken-Ulla und wie die armen Menschen alle hießen. Stolle-Jocke bekam vielleicht nicht alles so gut mit, denn als Michel ihm vorlas, daß am kommenden Samstag im Stadthotel ein großer Ball stattfinden sollte, da faltete Stolle-Jocke die Hände und sagte andächtig:
"Amen, Amen, ja, ja, so soll es geschehen!"
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Die Hauptsache aber war doch, daß Stolle^Jocke und die anderen Freude daran hatten, dazusitzen und zu hören, wie Michel vorlas.
Nur die Maduskan mochte es nicht. Wenn Michel kam, dann schloß sie sich in ihrem Zimmer auf dem Boden ein, denn sie hatte ja damals in der Wolfsgrube gesessen, die Michel gegraben hatte, und das vergaß sie nie.
Jetzt wirst du vielleicht unruhig und glaubst, daß Michel keine Zeit mehr für Unfug hatte, seit er in die Schule ging. Du kannst beruhigt sein! Zu der Zeit, als Michel klein war, siehst du, war nämlich nur einen um den anderen Tag Schule, welch ein Glück!
"Was machst du denn so alle Tage?" fragte Stolle-Jocke eines Tages Michel, als der ihm aus der Zeitung vorlesen wollte.
Michel dachte nach und antwortete dann wahrheitsgetreu:
"Einen Tag um den anderen mache ich Unfug, und einen Tag um den anderen gehe ich zur Schule.
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Sonntag, den 14- November, als auf Katthult die
Glaubensbefragung stattfand und Michel seinen
Vater in der Trissebude einsperrte.
In Katthult und Lönneberga und ganz Smaland wurden die Tage immer grauer und dunkler. Es wurde Herbst, mehr und mehr Herbst.
"Hui, wie naßkalt", sagte Lina, wenn sie nun morgens um fünf Uhr in den Stall wollte und in die Dunkelheit hinaus mußte.
Natürlich hatte sie die Stallaterne, aber die flackerte so einsam und armselig in all dem Grau. Grau, grau war der ganze Herbst, ein einziger langer grauer Alltag. Nur hin und wieder ein Schmaus und die Glaubensbefragung waren kleine bescheidene Lichtblicke in der Dunkelheit.
Du weißt wohl nichts von der Glaubensbefragung, wie ich mir denken kann, aber zu jener Zeit war es so, daß die Menschen einigermaßen Bescheid wissen mußten über das, was in der Bibel steht und im Katechismus. Deshalb sollte der Pastor von Zeit zu Zeit Befragungen anstellen, um zu erfahren, wieviel sie wußten, und zwar nicht nur die Kinder, die man ohnehin mit Fragen zu plagen pflegt, sondern alle in der Gemeinde, die Großen und Kleinen. Diese Glaubensbefragungen fanden reihum auf allen Höfen in Lönneberga statt, und wenn auch die Befragung selbst nicht so lustig war, der anschließende Schmaus war dafür um so besser. Alle Menschen aus der Gemeinde durften dabeisein, sogar die Leute aus dem Armenhaus. Von denen kamen auch alle, die es schafften, sich hinzuschleppen. Denn wenn eine
Glaubensbefragung war, durfte jeder essen, bis er platzte, und die meisten fanden, das sei eine gute Sache.
An einem Tag im November sollte in Katthult Glaubensbefragung sein, und das munterte alle auf, besonders Lina, denn sie mochte Glaubensbefragungen.
Ja, wenn auch nicht alle diese Fragen", sagte sie.
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