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Immer dieser Michel

Immer dieser Michel

Titel: Immer dieser Michel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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selten in nüchternem Zustand befand. Ich meine, Michels Mutter hätte erzählen sollen, wie das alles zusammenhing. Aber sie konnte es wohl, wie gesagt, nicht übers Herz bringen.
    Aber am 15. August findet sich auch eine Aufzeichnung. Da schrieb sie folgendes:
    "In der Nacht waren Michel und Alfred draußen, um Krebse zu fangen. Sie fingen 33 Dutzend. Aber nachher dann, ja, armes Herze..."
    Dreiunddreißig Dutzend - hat man schon jemals so etwas gehört?
    Das ist eine gigantische Menge Krebse. Rechne selbst, dann wirst du wissen, wieviel Stück es waren. Da hatte Michel eine fröhliche Nacht, kann ich dir sagen. Und wenn du einmal in einer dunklen Augustnacht dabeigewesen wärst und in einem kleinen Smalandsee Krebse gefangen hättest, dann wüßtest du, warum.
    Du wüßtest, wie naß man wurde und wie lustig es war und wie geheimnisvoll. Uh, es ist so dunkel, um den See steht schwarz der Wald, alles ist still, man hört nur, wie einem das Wasser um die 160
    Beine klatscht, wenn man an der Uferkante entlangwatet. Wenn man wie Michel und Alfred eine Fackel hat, dann sieht man die Krebse, groß und schwarz, auf dem Boden des Sees zwischen den Steinen umherkriechen, und man steckt nur die Hand hinein und packt einen nach dem anderen und stopft sie in den Sack.
    Als Michel und Alfred im Morgengrauen nach Hause wanderten, hatten sie mehr Krebse, als sie eigentlich tragen konnten, aber Michel pfiff und sang trotzdem.
    Jetzt wird Vater staunen, dachte er. Michel wollte seinem Vater so gern zeigen, wie tüchtig er war, wenn es ihm auch meist mißglückte. Jetzt wollte er, daß sein Vater alle die vielen Krebse sehen sollte, wenn er aufwachte. Deshalb stellte Michel den großen Waschbottich, in dem Ida und Michel an den
    Samstagabenden immer badeten, in die Schlafkammer neben Vaters Bett und schüttete die Krebse hinein.
    Das wird ein Jubelgeschrei geben, wenn sie alle aufwachen und meine Krebse sehen, dachte Michel. Dann kroch er, müde, aber glücklich, in sein Bett und schlief ein.
    In der Kammer war alles still. Von Michels Vater waren nur einige leise Schnarchtöne zu hören. Und außerdem das schwache Rasseln der Krebse, die umeinanderkrochen, wie Krebse es so machen.
    Michels Vater stand jeden Morgen sehr zeitig auf, und das tat er auch an diesem Tag. Sobald die Wanduhr in der Kammer fünfmal geschlagen hatte, schob er die Bettdecke beiseite, warf die Beine über die Bettkante und blieb ein Weilchen sitzen, um zu sich zu kommen. Er reckte sich, gähnte, strubbelte sich in den Haaren herum und wackelte mit den Zehen. Der eine große Zeh war einmal in einer Rattenfalle gefangen gewesen, die Michel aufgestellt hatte, und seit dem Fang war der Zeh etwas steif und mußte morgens beweglich gemacht werden. Aber wie Michels Vater da so saß und den Zeh bewegte, stieß er plötzlich ein Gebrüll aus, daß Michels Mutter und Klein-Ida entsetzt aus .dem Schlaf fuhren. Sie glaubten, daß der Vater zumindest ermordet wurde. Und dabei war es nur ein Krebs, der sich an dem großen 161
    Zeh, der einmal in der Rattenfalle gesteckt hatte, festkniff. Wenn du einmal deinen großen Zeh in den Scheren eines Krebses gehabt hast, dann weißt du, daß es ungefähr so angenehm ist, wie ihn in einer Rattenfalle zu haben - man kann schon für weniger brüllen. Krebse sind eigensinnige Biester, sie hängen fest auf Leben und Tod und kneifen fester und fester zu. Kein Wunder, daß Michels Vater schrie! Das taten übrigens die Mutter und Klein-Ida auch, denn jetzt sahen sie die Krebse, die zu Hunderten auf dem Boden umherkrabbelten. Ja, ja, es gab ein Jubelgeschrei, das ausreichte.
    "Michel!" schrie Michels Vater mit der vollen Kraft seiner Lungen. Erstens, weil er wütend war, und zweitens, weil er eine Kneifzange brauchte, um damit den Krebs abzuzwicken, und Michel sollte sie holen. Aber Michel schlief und war durch keinerlei Jubelgeschrei zu wecken. Michels Vater mußte also auf einem Bein selbst zum Werkzeugkasten in die Küche hüpfen und die Zange holen. Als Klein-Ida ihn so über den Boden hopsen sah, den Krebs immer noch hartnäckig an seinem großen Zeh schaukelnd, da schnitt es ihr ins Herz - bei dem Gedanken, was Michel da versäumte.
    "Wach auf, Michel", schrie sie, "wach auf! Dann kannst du etwas Lustiges sehen!"
    Sie schwieg aber sofort wieder, denn der Vater hatte ihr einen düsteren Blick zugeworfen, und man merkte, daß er nicht begriff, was da so lustig war.
    Unterdessen kroch die Mutter auf dem Boden herum und sammelte Krebse.

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