Immer für dich da (German Edition)
schrille Ton ihres Handys weckte sie. Langsam richtete sie sich auf und rieb sich den steifen, schmerzenden Nacken. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, wo sie war.
Im Krankenhaus. Harborview.
Sie stand auf. Das Bett ihrer Mutter war leer. Tully riss den Schrank auf. Er war leer. Die Tüte lag noch zusammengeknüllt da.
»Scheiße.«
Wieder klingelte ihr Handy. Sie warf einen Blick auf das Display. »Hey, Edna«, sagte sie und setzte sich wieder.
»Du hörst dich ja schrecklich an.«
»Ich hab eine schlimme Nacht hinter mir.« Jetzt wünschte sie, sie hätte die Kette doch berührt, denn sie bekam bereits die unscharfen Konturen eines Traums. »Wie spät ist es?«
»Bei euch sechs Uhr morgens. Sitzt du?«
»Zufällig ja.«
»Nimmst du dir immer noch von Ende November bis Ende Dezember frei?«
»Damit meine Mitarbeiter die Feiertage bei ihren Familien verbringen können?«, sagte sie mit bitterer Stimme. »Ja.«
»Ich weiß, du bist normalerweise bei deiner Freundin.«
»Dieses Jahr nicht.«
»Gut. Dann hättest du vielleicht Lust, mit mir in die Antarktis zu fliegen. Ich arbeite an einem Dokumentarfilm über die globale Erwärmung. Tully, ich halte das für wichtig. Und jemand mit deiner Berühmtheit könnte Zuschauer anlocken.«
Dieses Angebot war ein Geschenk des Himmels. Noch Minuten zuvor wäre sie am liebsten vor ihrem eigenen Leben davongerannt. Weiter als die Antarktis ging es wohl nicht. »Wie lange werden wir weg sein?«
»Sechs Wochen, höchstens sieben. Du könntest zwischendurch mal zurückfliegen, aber das ist ein ziemlicher Höllentrip.«
»Klingt perfekt. Ich muss hier mal raus. Wann geht’s los?«
Kate stand nackt vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete ihren Körper. Ihr ganzes Leben lang hatte sie einen erbitterten Krieg gegen ihr Spiegelbild geführt. Ihre Oberschenkel waren immer zu massig gewesen, ganz gleich, wie viel sie abnahm, und ihr Bauch war nach drei Kindern völlig schlaff. Ganz gleich, wie viele Sit-ups sie auch machte, er hing durch. Seit drei Jahren trug sie keine ärmellosen T-Shirts mehr – wegen ihrer schlaffen Oberarme. Und ihre Brüste … nun, seit der Geburt der Zwillinge trug sie Sport-BHs und zog die Träger straff, damit ihr Busen nicht durchhing.
Aber als sie sich jetzt so ansah, ging ihr auf, wie unwichtig das alles war, wie viel Zeit sie damit verschwendet hatte.
Sie trat näher zum Spiegel, sprach die Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, übte sie mehrmals. Wenn es je einen Augenblick in ihrem Leben gegeben hatte, an dem sie stark sein musste, dann war es dieser.
Sie griff nach dem Stapel Kleider auf der Kommode und zog sich langsam an. Sie hatte einen hübschen rosafarbenen Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt herausgesucht und eine Levi’s, die schon so alt war, dass ihre Oberfläche sich samtweich anfühlte. Dann band sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie schminkte sich sogar. Es war wichtig, dass sie jetzt gesund aussah. Sie verließ das Bad und ging ins Schlafzimmer.
Johnny hatte am Fußende des Betts gesessen und sprang bei ihrem Eintreten auf. Sie sah, wie sehr er sich um Fassung bemühte. Aber seine Augen glänzten verdächtig.
Dieser Beweis seiner Liebe, seiner Angst um sie, hätte auch sie zu Tränen rühren können, doch stattdessen gab er ihr Kraft. »Ich habe Krebs«, sagte sie.
Natürlich wusste er es bereits. Die vergangenen Tage, in denen sie auf die Ergebnisse gewartet hatten, waren eine einzige Qual gewesen. Am Abend zuvor war endlich der Anruf ihrer Ärztin gekommen. Sie hatten sich bei der Hand gehalten und sich versichert, dass alles okay sein würde. Doch es war nicht alles in Ordnung. Im Gegenteil.
Es tut mir so leid, Kate … Stadium vier … Entzündliches Mammakarzinom … aggressiv … hat bereits gestreut …
Zuerst war Kate wütend geworden – schließlich hatte sie immer alles richtig gemacht, nach Knoten gesucht, ihre Mammographietermine eingehalten … aber dann war die Angst gekommen.
Johnny nahm es noch schwerer als sie, und sie merkte rasch, dass sie nun für ihn stark sein musste. Die ganze letzte Nacht hatten sie wach gelegen, einander im Arm gehalten, geweint, gebetet und sich versprochen, dass sie es durchstehen würden. Aber jetzt fragte sie sich, wie sie es schaffen sollten.
Sie ging zu ihm. Er schlang die Arme um sie und zog sie, so fest er konnte, an sich. Und doch war es noch nicht nah genug.
»Ich muss es ihnen sagen.«
»Wir beide sagen es ihnen.« Er löste
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