Immer für dich da (German Edition)
Erfolgen. Als das selbst in ihren eigenen Ohren hohl und verzweifelt klang, begann sie, über Kate und ihren Streit zu sprechen und die große Einsamkeit, die sie seitdem befallen hatte. Dabei erkannte Tully, wie tief ihre Verletzung ging. Nach dem Verlust der Ryans und der Mularkeys waren ihr nichts als Einsamkeit und Verzweiflung geblieben. Jetzt hatte sie nur noch Cloud. War das nicht erbärmlich?
»Hast du immer noch nicht erkannt, dass wir alle ganz allein sind?«
Tully hatte nicht bemerkt, dass ihre Mutter aufgewacht war. Jetzt war sie bei Bewusstsein und musterte sie mit müdem Blick. »Hey«, sagte Tully und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Was ist mit dir passiert?«
»Ich wurde verprügelt.«
»Ich wollte nicht wissen, warum du hier gelandet bist, sondern was eigentlich mit dir los ist.«
Cloud fuhr zusammen und wandte sich ab. »Ach das. Ich schätze, deine werte Großmutter hat dir das nie erzählt, nicht wahr?« Sie seufzte. »Ist jetzt auch egal.«
Tully holte scharf Luft. Dies war das aufrichtigste Gespräch, das sie je mit ihrer Mutter geführt hatte; sie spürte, dass sie jetzt etwas Wichtiges erfahren konnte, was ihr immer vorenthalten worden war. »Das finde ich aber nicht.«
»Geh weg, Tully.« Cloud drückte das Gesicht ins Kissen.
»Erst wenn du den Grund sagst.« Ihr zitterte die Stimme. »Warum hast du mich nie geliebt?«
»Vergiss mich doch einfach.«
»Ehrlich gesagt, wünschte ich, ich könnte es. Aber du bist meine Mutter.«
Cloud wandte sich wieder zu Tully um, und einen winzigen Moment sah Tully Traurigkeit in ihrem Blick. »Du brichst mir das Herz«, sagte sie leise.
»Du mir auch.«
Cloud lächelte kurz. »Ich wünschte –«
»Was?«
»Ich könnte für dich sein, was du brauchst, aber ich kann es nicht. Du musst mich loslassen.«
»Ich weiß nicht, wie. Du bist immer noch meine Mutter.«
»Ich war nie deine Mutter. Das wissen wir beide.«
»Ich werde immer wieder kommen«, erklärte Tully, und erst jetzt wurde ihr klar, dass das wahr war. Sie beide mochten vielleicht nicht das perfekte Mutter-Tochter-Gespann sein, doch irgendwie, tief im Innern, waren sie miteinander verbunden. Ihr Tanz war schmerzhaft, aber immer noch nicht beendet. »Eines Tages wirst du bereit sein für mich.«
»Du hältst also immer noch an diesem Traum fest?«
»Mit beiden Händen.« Was auch kommen mag, wollte sie hinzufügen, doch dann erinnerte es sie zu sehr an Kate und sie konnte es nicht aussprechen.
Ihre Mutter seufzte und schloss die Augen. »Geh weg.«
Lange stand Tully da und umklammerte das Gitter des Metallbetts. Sie wusste, dass ihre Mutter nur so tat, als schliefe sie. Aber sie bemerkte auch, als sie wirklich einschlief. Als sie anfing zu schnarchen, ging sie zum Schrank, fand dort eine Ersatzdecke und nahm sie. Da entdeckte sie einen kleinen Stapel ordentlich gefalteter Kleider auf dem untersten Bord. Daneben stand eine braune Papiertüte.
Sie deckte ihre Mutter zu und ging dann wieder zum Schrank.
Sie wusste nicht, warum sie die persönlichen Sachen ihrer Mutter durchsuchte, was genau sie zu finden hoffte. Alles war, wie sie erwartet hatte: schmutzige, abgetragene Kleider, durchlöcherte Schuhe, ein Plastikbeutel mit Toilettenartikeln, Zigaretten und ein Feuerzeug.
Doch dann sah sie, ordentlich zusammengerollt auf dem Boden der Papiertüte, ein Stück ausgefranste, zusammengeknotete Schnur, an der zwei getrocknete Makkaroni und eine blaue Perle hingen.
Die Kette, die Tully in der Sonntagsschule gebastelt und ihrer Mutter an dem Tag vor vielen, vielen Jahren geschenkt hatte, als sie sie mit dem VW-Bus abgeholt hatte. Ihre Mutter hatte sie die ganze Zeit aufbewahrt.
Tully wagte nicht, sie zu berühren, weil sie fürchtete, sie könnte nur in ihrer Einbildung existieren. Sie trat zum Bett. »Du hast sie aufbewahrt«, sagte sie und spürte, wie etwas ganz Neues sich in ihr regte. Eine Art Hoffnung – nicht die blitzende Hoffnung eines kleinen Mädchens – nein, diese Hoffnung war angelaufen wie altes Silber, das lange nicht benutzt worden war, und spiegelte das, was sie und ihre Mutter waren und durchgemacht hatten. Und doch war es Hoffnung, trotz aller Makel. »Auch du hast an einem Traum festgehalten, stimmt’s, Cloud?«
Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Jetzt hatte sie eine Frage an ihre Mutter, und sie war entschlossen, eine Antwort zu bekommen.
Irgendwann gegen vier Uhr morgens sank sie auf ihrem Stuhl zusammen und schlief ein.
Der
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