Immer für dich da (German Edition)
aufdringlich sein.«
»Lass das, Tully.«
»Was denn?«
»Behandle mich nicht wie ein rohes Ei. Sei einfach du selbst … das brauche ich jetzt, sonst kann ich mich nicht daran erinnern, wer ich bin. Abgemacht?«
»Okay«, sagte sie leise und versprach ihr damit das Einzige, was sie zu geben hatte: sich selbst. »Abgemacht.« Sie zwang sich zu lächeln, sie merkten es beide. Manche Verstellung war in den Tagen, die vor ihnen lagen, einfach unvermeidlich. »Natürlich brauchst du mein Input. Schließlich war ich Zeugin jedes bedeutsamen Ereignisses in deinem Leben. Außerdem habe ich ein fotografisches Gedächtnis. Das ist eines meiner vielen Talente. Genau wie Schminken und Haarefärben.«
Kate lachte. »Das ist meine Tully, wie ich sie kenne und liebe.«
Obwohl Kate ihre Schmerzmittel selbst regulieren konnte, empfand sie es als große Herausforderung, das Krankenhaus zu verlassen. Zunächst einmal waren da die vielen Menschen: ihre Eltern, ihre Kinder, ihr Mann, dazu Tante und Onkel, Bruder und Tully. Und dann musste sie sich so viel bewegen: raus aus dem Bett, rein in den Rollstuhl, wieder raus aus dem Rollstuhl, rein ins Auto, raus aus dem Auto, auf Johnnys Arme.
Er trug sie durch das schöne, behagliche Haus, das wie immer nach Duftkerzen und dem Essen vom Vorabend roch. Sie wusste, dass er am Abend zuvor Spaghetti gekocht hatte. Also würde es morgen Abend Tacos geben. Mehr als diese beiden Gerichte konnte er nicht kochen. Sie schmiegte ihre Wange an seinen weichen Wollpullover.
Was wird er kochen, wenn ich nicht mehr da bin?
Bei diesem Gedanken stockte ihr der Atem. Sie zwang sich, ganz langsam auszuatmen. Manchmal würde es schmerzen, wieder zu Hause zu sein. Es würde auch schmerzen, mit ihrer Familie zusammen zu sein. Seltsamerweise wäre es einfacher gewesen, ihre letzten Tage im Krankenhaus zu verleben, ohne all die Erinnerungen.
Doch auch das war jetzt nicht mehr wichtig. Wichtig war nur noch die Zeit mit ihrer Familie.
Jetzt waren sie alle da und erledigten wie Soldaten ihre jeweiligen Pflichten. Marah hatte die Jungs in ihr Zimmer gescheucht und sah mit ihnen fern. Die Mutter kochte fleißig Eintöpfe. Der Vater mähte wahrscheinlich den Rasen. Blieben nur noch Johnny, Tully und Kate, die jetzt zum Gästezimmer strebten, das für ihre Heimkehr umgestaltet worden war.
»Die Ärzte wollten, dass du ein Krankenhausbett bekommst«, erklärte Johnny. »Ich habe eins besorgt, siehst du? Jetzt liegen wir in verschiedenen Betten und können uns wie die Waltons ›Gute Nacht‹ zurufen.«
»Ja klar.« Das hatte ganz sachlich klingen sollen, wie die simple Anerkennung einer Tatsache, die ihnen beiden klar war: Schon bald würde sie sich nicht mehr allein aufsetzen können, und dann würde das Bett helfen. Doch ihre Stimme strafte sie Lügen. »D-du hast ja gestrichen«, sagte sie zu ihrem Mann. Als sie das letzte Mal dieses Zimmer gesehen hatte, war es schwedenrot mit weißen Zierleisten gewesen, und die Möbel waren rot und blau – es hatte gemütlich und maritim gewirkt, mit vielen antiken Seestücken und Muscheln in Glasschalen. Jetzt war es hellgrün, fast selleriefarben, mit rosafarbenen Akzenten. Überall standen Familienfotos in weißen Porzellanrahmen.
Tully trat einen Schritt vor. »Eigentlich war ich das.«
»Hat was mit Origami zu tun«, meinte Johnny.
»Feng Shui«, korrigierte Tully ihn. »Ich weiß, es ist albern, aber …« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab mal eine Sendung darüber gemacht. Schaden kann’s nicht.«
Johnny trug Kate zu ihrem Bett und deckte sie sorgfältig zu. »Das untere Bad ist auch für dich umgestaltet worden. Es hat jetzt Haltegriffe, einen Duschsitz und alles, was man mir empfohlen hat. Jeden Tag wird eine Schwester vom Hospiz kommen …«
Sie wusste nicht, wann ihr die Augen zugefallen waren. Sie merkte nur irgendwann, dass sie schlief. Irgendwo lief im Radio Sweet Dreams und sie hörte in der Ferne Menschen miteinander sprechen. Dann küsste Johnny sie, sagte, sie sei wunderschön, und sprach mit ihr über den Urlaub, den sie demnächst machen würden.
Sie schrak auf. Im Zimmer war es mittlerweile dunkel; offensichtlich hatte sie den ganzen Tag geschlafen. Neben ihr brannte eine Kerze mit Eukalyptusduft. Da es dunkel war, glaubte sie einen Moment, allein zu sein.
Doch dann bewegte sich am anderen Ende des Zimmers ein Schatten. Jemand atmete.
Kate drückte auf den Knopf an ihrem Bett, so dass das Kopfteil sich aufrichtete. »Hey«, sagte
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