Immer für dich da (German Edition)
trauert, mich vermisst, obwohl ich doch noch da bin. Schlimmer noch ist Marahs widerspruchsloses Einverständnis mit allem, was ich sage. Für eins unserer alten Wortgefechte würde ich alles geben. Dies ist eins der ersten Dinge, die ich Dir sagen möchte, Marah. Unsere Gefechte waren das wahre Leben. Du wolltest Dich von mir lösen, wusstest aber nicht, wer Du bist, während ich Angst hatte, Dich ziehen zu lassen. Das ist der Kreislauf der Liebe. Ich wünschte nur, das hätte ich damals schon gewusst. Deine Großmutter meinte, ich würde noch vor Dir wissen, dass es Dir leidtue, und sie hatte recht. Ich weiß, dass Du einiges von dem, was Du gesagt hast, bereust. Mir geht es genauso. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Wichtig ist nur, dass Du weißt, wie lieb ich Dich habe. Ich weiß jedenfalls, dass Du mich liebhast.
Aber auch das sind wieder nur Worte, nicht wahr? Ich möchte noch tiefer gehen. Wenn ihr mir also zuhören wollt (denn ich habe seit Jahren nichts mehr geschrieben), dann möchte ich euch eine Geschichte erzählen. Es ist meine Geschichte und ein kleines bisschen auch eure. Sie beginnt 1960 in einem kleinen Ort weiter nördlich, in einem Schindelhaus auf einem Hügel über einer Pferdeweide. Aber richtig gut wird sie erst 1974 , wenn das coolste Mädchen der ganzen Welt in das Haus gegenüber einzieht …
Kapitel 35
T ully saß in der Maske und starrte auf ihr Spiegelbild. Zum ersten Mal in all den Jahren, die sie hier verbracht hatte, fiel ihr auf, wie riesig die Spiegel waren. Kein Wunder, dass so manche Berühmtheit sich in ihrem eigenen Spiegelbild verlor.
»Ich brauche kein Make-up, Charles«, sagte sie und stand auf.
Mit offenem Mund starrte er sie an, und eine Strähne seiner Kunstfrisur löste sich und fiel ihm in die Stirn. »Das ist ein Witz, oder? Du bist in fünfzehn Minuten auf Sendung.«
»Sollen sie mich doch sehen, wie ich wirklich bin.«
Sie ging durchs Studio, ihr Königreich, sah ihre Mitarbeiter hektisch herumeilen, um sicherzustellen, dass alles wie am Schnürchen lief, und das war keine schlechte Leistung, denn sie hatte am Vortag um fünfzehn Uhr angerufen und angeordnet, dass das Thema der heutigen Live-Show geändert würde. Sie wusste, dass einige ihrer Produzenten und Assistenten bis tief in die Nacht gearbeitet hatten. Sie selbst war bis zwei Uhr morgens aufgeblieben und hatte recherchiert. Sie hatte Dutzende der weltbesten Onkologen per Fax und E-Mail kontaktiert und Stunden am Telefon verbracht und jedes noch so winzige Detail von Kates Fall weitergegeben. Doch jeder Spezialist kam zum selben Schluss.
Tully konnte nichts tun. Weder ihr Ruhm noch ihr Erfolg noch all ihr Geld konnten ihr jetzt helfen. Zum ersten Mal seit Jahren war sie ein ganz normaler Mensch und fühlte sich klein.
Doch endlich hatte sie etwas Wichtiges zu sagen.
Als die Titelmelodie ertönte, ging sie hinaus auf die Bühne.
»Willkommen zur Plauderstunde mit Tully Hart«, sagte sie wie immer, doch dann verstummte sie abrupt, denn etwas war anders. Sie blickte auf ihr Publikum und sah nur Fremde. Es war irritierend und verstörend. Fast ihr ganzes Leben hatte sie Anerkennung von Menschenmengen wie dieser hier gesucht, und ihre bedingungslose Unterstützung hatte ihr Auftrieb gegeben.
Jetzt aber merkte auch das Publikum, dass etwas nicht stimmte, und hörte auf zu applaudieren.
Tully setzte sich an den Bühnenrand. »Sie werden jetzt denken, dass ich dünner und älter wirke. Und dass ich nicht so hübsch bin, wie Sie eigentlich meinten.«
Das Publikum lachte nervös.
»Das liegt daran, dass ich heute nicht geschminkt bin.«
Applaus brach los.
»Ich will hier keine Komplimente einheimsen. Ich bin … einfach nur müde.« Sie blickte sich um. »Sie sind schon lange Zeit meine Freunde. Sie schreiben mir, mailen mir, besuchen mich, wenn ich mit einer meiner Shows in Ihrer Stadt bin, und ich war immer sehr dankbar dafür. Dafür habe ich Ihnen gezeigt, wie ich bin, zumindest, soweit mir das ohne irgendwelche Beruhigungsmittel möglich ist. Erinnern Sie sich noch an die Show vor ein paar Jahren, in der Kate Ryan, meine beste Freundin, genau hier auf dieser Bühne von mir angegangen wurde?«
Nervöses Gemurmel, Nicken, Kopfschütteln.
»Nun, Kate hat Brustkrebs.«
Mitfühlendes Murmeln.
»Es ist eine extrem seltene Form, die nicht mit einem Knoten anfängt, sondern mit einer Entzündung oder Verfärbung der Haut. Kates Hausarzt hielt es für einen Insektenstich und verschrieb
Weitere Kostenlose Bücher