Immer für dich da (German Edition)
sie.
»Hey, Mom.«
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie sehen, dass ihre Tochter auf einem Stuhl in der Ecke saß. Obwohl Marah müde wirkte, sah sie so schön aus, dass es Kate einen Stich versetzte. Seit ihrer Rückkehr sah sie alles und jedes mit überdeutlicher Klarheit, selbst in diesem Dämmerlicht. Als sie ihre halbwüchsige Tochter anblickte, die ihre langen schwarzen Haare mit Kleinmädchenspangen aus dem Gesicht hielt, sah sie plötzlich alle Stationen ihres Lebens vor sich: als kleines Mädchen, das sie gewesen war, als Teenager jetzt und als Frau, die sie einst sein würde.
»Hey, meine Kleine.« Sie lächelte und beugte sich zum Nachttisch, um ihre Lampe anzuschalten. »Aber eigentlich bist du gar nicht mehr meine Kleine, stimmt’s?«
Marah stand auf und trat zu ihr. Sie hatte nervös ihre Hände verschränkt. Trotz ihrer schon fraulichen Schönheit ließ die Furcht in ihrem Blick sie wie eine Zehnjährige wirken.
Kate überlegte, was sie sagen sollte. Sie wusste, wie sehr sich Marah wünschte, dass alles wieder normal würde. Doch das war einfach unmöglich. Von nun an würde alles, was sie einander sagten, Gewicht haben und in Erinnerung bleiben. Dies war ein Faktum des Lebens. Oder des Todes.
»Ich war gemein zu dir«, sagte Marah.
Jahre hatte Kate auf diesen Augenblick gewartet, sie hatte sogar davon geträumt, als sie und Marah sich noch im Kriegszustand befanden; jetzt sah sie alles aus größerer Distanz und wusste, dass Kämpfe zum Leben gehörten – ein Mädchen versuchte, erwachsen zu werden, und eine Mutter versuchte, sie zu schützen. Jetzt hätte sie alles gegeben, um noch mal so mit ihr streiten zu können. Denn das hätte bedeutet, sie hätten noch die Zeit dazu.
»Ich war auch ziemlich ekelhaft zu deiner Großmutter; so ist das eben mit pubertierenden Mädchen; sie rebellieren gegen ihre Mütter. Nur deine Tante Tully war zu allen ekelhaft.«
Marah gab einen Laut von sich, der halb Schnauben, halb Lachen war und ihre Erleichterung verriet. »Ich verrat’s ihr nicht, dass du das gesagt hast.«
»Glaub mir, Schatz, es wäre keine Überraschung für sie. Aber ich möchte, dass du eins weißt: Ich bin stolz, dass du so viel Charakter hast, dass du eine so große Persönlichkeit bist. Damit wirst du sehr weit im Leben kommen.« Sie bemerkte, dass ihrer Tochter die Tränen kamen. Da breitete sie die Arme aus, und Marah umarmte sie heftig.
Es fühlte sich so gut an, dass Kate sie am liebsten nie mehr losgelassen hätte. Jahrelang hatte Marah sie höchstens flüchtig umarmt, und nur, wenn sie bekommen hatte, was sie wollte. Doch dies hier war echt. Als Marah sich von ihr löste, weinte sie. »Weißt du noch, wie du früher mit mir getanzt hast?«
»Als du noch ganz klein warst? Ich hab dich auf dem Arm gehalten und herumgewirbelt, bis du gekichert hast. Einmal hab ich’s übertrieben, da musstest du dich übergeben.«
»Wir hätten nicht damit aufhören sollen. Ich hätte nicht damit aufhören sollen.«
»Ach was«, meinte Kate. »Klapp mal die Stange runter und setz dich zu mir.«
Marah hatte ein bisschen Schwierigkeiten, die Stange zu entfernen, doch schließlich gelang es ihr. Sie kletterte aufs Bett und zog die Beine an.
»Wie geht’s James?«, fragte Kate.
»Ich bin jetzt mit Taylor zusammen.«
»Und, ist er nett?«
Marah lachte. »Er ist total scharf, wenn du das meinst. Er hat mich zum Junior-Abschlussball eingeladen. Darf ich hin?«
»Natürlich. Aber nicht bis zum Schluss.«
Marah seufzte. Manche Teenagerallüren waren genetisch: Der enttäuschte Seufzer zum Beispiel schien einfach nicht auszumerzen zu sein, nicht mal durch Krebs. »Ist gut.«
Kate strich ihrer Tochter übers Haar und wusste, dass sie jetzt etwas Tiefsinniges zu ihr sagen sollte, etwas, das sie nie vergessen würde, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. »Hast du dich im Theater für einen Ferienjob beworben?«
»Diesen Sommer jobbe ich nicht. Ich bleibe zu Hause.«
»Aber du kannst dein Leben nicht auf Eis legen, Schatz«, sagte Kate leise. »Das ist nicht gut für dich. Außerdem hast du doch gesagt, mit einem Ferienjob würdest du leichter an der USC angenommen.«
Marah zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. »Ich habe beschlossen, auf die UW zu gehen, so wie du und Tante Tully.«
Kate gab sich große Mühe, mit beiläufiger Stimme zu sprechen, so als wäre es nur ein ganz normales Gespräch und kein Ausblick auf eine schwierige Zukunft.
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