Immer für dich da (German Edition)
Schneeboots und zwei Pullover. Zusätzlich angetan mit einem Wollmantel und Handschuhen, trotzte sie den Elementen und kämpfte sich vornübergebeugt durch die sturmgebeutelten Straßen. Der Schnee flog ihr in die Augen und ließ ihre Wangen brennen. Doch das war ihr gleich: Sie liebte ihre Arbeit so sehr, dass sie alles getan hätte, um dorthin zu gelangen.
In der Eingangshalle des Senders stampfte sie den Schnee von den Stiefeln und ging nach oben. Sie merkte schnell, dass sich ein Großteil der Belegschaft krankgemeldet hatte. Nur die Notbesetzung war noch übrig geblieben.
An ihrem Schreibtisch stürzte sie sich auf die Story, die ihr am Vortag zugewiesen worden war. Sie recherchierte über eine Naturschutzkontroverse im Nordwesten. Da sie versuchen wollte, so viel Lokalkolorit wie möglich einfließen zu lassen, studierte sie alles, was sie darüber finden konnte, und merkte nicht einmal, wie die Stunden verstrichen.
»Sie arbeiten hart.«
Tully fuhr auf. Sie war so in ihre Unterlagen vertieft gewesen, dass sie gar nicht gehört hatte, wie jemand an ihren Schreibtisch trat.
Und nicht nur irgendjemand.
Vor ihr stand Edna Guber in ihrem charakteristischen schwarzen Hosenanzug, eine Zigarette rauchend. Ihre durchdringenden grauen Augen starrten sie unter dem akkurat geschnittenen Pony ihres schwarzen Pagenkopfs an. Edna war eine Berühmtheit in der Welt der Nachrichten, eine der wenigen Frauen, die sich in einer Zeit ihren Weg an die Spitze erkämpft hatten, als ihre Geschlechtsgenossinnen nur als Sekretärinnen vorgelassen wurden. Angeblich hatte Edna – nur ihr Vorname war relevant – ein Rolodex mit den Privatnummern aller Berühmtheiten von Fidel Castro bis Clint Eastwood. Und es gab kein Interview, das sie nicht bekam, ganz zu schweigen von allem anderen.
»Hat’s Ihnen die Sprache verschlagen?«, fragte sie und stieß den Rauch aus.
Tully sprang hektisch auf. »Tut mir leid, Edna. Miss Guber. Ma’am.«
»Ich hasse es, wenn man mich Ma’am nennt. Dann komme ich mir so alt vor. Finden Sie mich alt?«
»Nein, M–«
»Gut. Wie sind Sie hergekommen? Taxis und Busse fahren heute nicht.«
»Ich bin zu Fuß gegangen.«
»Name?«
»Tully Hart. Tallulah.«
Edna kniff die Augen zusammen. Sie musterte Tully eingehend. »Folgen Sie mir.« Sie wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte den Gang hinunter in eines der Eckbüros.
Herr im Himmel.
Tullys Herz fing heftig an zu klopfen. Sie war noch nie in dieses Büro gebeten worden, hatte nicht mal Maury Stein, den obersten Boss der Morgensendung, kennengelernt.
Das Büro war riesig und hatte zwei Wände, die nur aus Fenstern bestanden. Der Schnee verwandelte die Außenwelt in etwas Grauweißes, Unheimliches.
»Die hier wird gehen«, meinte Edna und musterte Tully mit schräggelegtem Kopf.
Maury sah von seiner Arbeit auf. Er warf nur einen kurzen Blick auf Tully und nickte dann. »Gut.«
Edna verließ das Büro wieder.
Tully war verwirrt und rührte sich nicht von der Stelle, bis sie Edna fragen hörte: »Sind Sie gelähmt? Oder im Koma?«
Dann folgte sie ihr auf den Gang.
»Haben Sie Stift und Papier?«
»Ja.«
»Sie sollen mir nicht antworten, sondern tun, was ich von Ihnen verlange, und zwar schnell.«
Tully kramte einen Stift aus ihrer Tasche und holte sich von einem Schreibtisch in der Nähe Papier. »Fertig.«
»Als Erstes möchte ich einen umfassenden Bericht über die bevorstehende Wahl in Nicaragua. Sie wissen doch, was da unten los ist?«
»Natürlich«, log Tully.
»Ich möchte alles wissen: über die Sandinisten, über Bushs Nicaraguapolitik, über die Blockade und die Bevölkerung, alles. Ich möchte wissen, wann Violeta Chamorro ihre Unschuld verloren hat. Und Sie haben dafür zwölf Tage.«
»Ja –« Sie schaffte es gerade noch, sich das »Ma’am« zu verkneifen.
Edna blieb an Tullys Schreibtisch stehen. »Haben Sie einen Reisepass?«
»Ja. Den musste ich mir bei der Einstellung besorgen.«
»Klar. Wir reisen am Sechzehnten. Doch davor –«
»Wir?«
»Warum zum Teufel sollte ich sonst mit Ihnen sprechen? Ist das ein Problem für Sie?«
»Nein. Kein Problem. Danke, ich bin Ihnen wirklich –«
»Wir brauchen noch die nötigen Impfungen; besorgen Sie uns einen Arzt, der uns und die Mannschaft impft. Dann können Sie anfangen, die Termine für die Interviews zu vereinbaren. Alles klar?« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Jetzt ist es neun Uhr. Am Freitagmorgen berichten Sie mir, sagen wir, fünf
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